Kaum hatte das Pentagon einen neuen New Yorker-Bericht über die angebliche Billigung von schärferen Verhörmethoden im Abu-Ghraib-Gefängnis durch Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als "an den Haaren herbeigezogen, verschwörerisch und fehlerhaft" abgetan, kam bereits der nächste Schlag: Newsweek berichtet in seiner neuen Ausgabe, der Anwalt des Weißen Hauses, Alberto Gonzales, habe schon Anfang 2002 ein Memorandum verfasst, in dem er feststellte, dass "die strikten Einschränkungen", welche die Genfer Konventionen für die Befragungen von Gefangenen vorschreiben, angesichts der neuen Terrorgefahren "veraltet" seien.

Außenminister Colin Powell sei angeblich "an die Decke gesprungen". Sonntag wollte er sich in einem Interview nicht spezifisch dazu äußern, er erklärte aber, er habe sich immer für die Einhaltung der Genfer Konventionen ausgesprochen. Laut Powell seien auch die Berichte des Internationalen Roten Kreuzes auf höchster Ebene besprochen worden. In Washington ist es kein Geheimnis mehr, dass Powell immer mehr danach strebt, von den Hardlinern in der Regierung abzurücken. Powell warf auch der CIA vor, dass diese teils falsche, teils unzureichende Informationen über den Irak weitergegeben habe, manches davon sogar "absichtlich".

Rumsfeld selbst nahm zu den Vorwürfen bisher nicht Stellung; die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice gab ihm allerdings in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen" Rückendeckung: "Soweit wir das beurteilen können, ist nichts an dieser Sache dran". Die Rufe nach intensiven Untersuchungen des Folterskandals durch den US-Kongress werden immer lauter. Der demokratische Senator Joseph Biden meinte, die Instruktionen zur Befragung der Gefangenen seien von "weit oben" gekommen. Sein Kollege, der Republikaner John McCain, stimmte ihm zu: "Wir müssen die Sache so weit hinauf verfolgen, wie es nötig ist."

Köpferollen

Derzeit herrscht in Washington weit gehend Übereinstimmung, dass, sollten sich die Berichte als authentisch erweisen, in absehbarer Zeit einige Köpfe rollen müssen, damit wenigstens ein Bruchteil der Glaubwürdigkeit der Regierung gerettet wird. Demokraten und gemäßigte Republikaner sind von der Vorstellung, dass Rumsfelds Vize Paul Wolfowitz nachrücken würde, wenn der Minister tatsächlich zurücktritt, wenig begeistert. Wolfowitz musste sich letzte Woche von Streitkräfteausschuss-Mitgliedern im Senat die Leviten lesen lassen - etwa von der New Yorker Senatorin Hillary Rodham Clinton, die ihm vorwarf, eine Reihe von Voraussagen getroffen zu haben, die auf falschen und fehlerhaften Vermutungen basierten.

Um wirklich reinen Tisch zu machen, müsste Präsident Bush nicht nur Rumsfeld, sondern auch Wolfowitz und dessen Kollegen Douglas Feith feuern und einen neuen Verteidigungsminister ernennen. Das aber könnte zum Albtraum für die Regierung werden: endlose Bestätigungs-Hearings vor einem äußerst feindseligen Senat - und das in einem Krieg, dem die Mehrzahl der Amerikaner sehr skeptisch gegenübersteht. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.5.2004)