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Palästinenser tragen nach dem israelischen Raketenangriff in Rafah am Dienstag einen der Toten weg. Etliche Verletzte blieben unversorgt, weil die Krankenwagen nicht zu ihnen durchkamen.

Foto: REUTERS/Suhaib Salem
Rafah - Auch am Mittwoch hat die israelische Armee die "Operation Regenbogen" im Flüchtlingslager Rafah im südlichen Gaza-Streifen fortgesetzt. Nach palästinensischen Angaben erschoss ein israelischer Scharfschütze im örtlichen Flüchtlingslager einen 16-Jährigen. Damit stieg die Zahl der Toten bei dem international heftig kritisierten Einsatz auf 21.

Teile des Flüchtlingslagers unter Kontrolle

Nach Angaben des israelischen Rundfunks hat die Armee inzwischen die Kontrolle über Teile des Flüchtlingslagers übernommen. Soldaten würden von Haus zu Haus nach radikalen Palästinensern und Waffen suchen. Der Armee sei es gelungen, einen Palästinenser, der detaillierte Informationen über das Tunnelsystem im Grenzgebiet zu Ägypten besitze, festzunehmen. Durch die Tunnel werden nach israelischen Angaben Waffen in die Palästinensergebiete geschmuggelt.

Bis zu 20 Tote

Bei der israelische Offensive im Süden des Gazastreifens sollen bisher 21 Menschen getötet worden sein. Allerdings seien viele der Opfer bewaffnete Kämpfer gewesen, räumten Palästinenserkreise ein. Die israelische Armee gab die Zahl der Getöteten mit 15 an. Alle hätten Waffen getragen und die meisten von ihnen seien den israelischen Sicherheitskräften "wohl bekannt gewesen".

Montag nacht

Die "Operation Regenbogen" war in der Nacht von Montag auf Dienstag angelaufen: Israelische Panzer in das von der Außenwelt abgeschnittene Flüchtlingslager in Rafah gerollt. Tausende von Einwohnern, die zuvor noch ängstlich in ihren Häusern ausgeharrt hatten, flohen nach den ersten Nachrichten über den Beginn der Offensive "Operation Regenbogen" mit wenigen Habseligkeiten. "Israel hat uns den Krieg erklärt", klagt Said Surub, Bürgermeister der Grenzstadt mit etwa 160.000 Einwohnern. Er warnt vor einer "humanitären Katastrophe" in einer der ärmsten Städte der Welt.

Die israelische Armee rückte mit Dutzenden von Panzern und Truppentransportfahrzeugen in das Lager an der Grenze zu Ägypten ein und lieferte sich mit Unterstützung von Kampfhubschraubern heftige Gefechte mit bewaffneten Einwohnern. Mohammed Lafi, Einwohner des Lagers, äußerte sich schockiert über die große Anzahl von Truppen: "Es scheint, als sei die halbe israelische Armee hier aufmarschiert." Auch ein Kommentator der auflagenstärksten israelischen Zeitung Yediot Aharonot schrieb am Dienstag, der Gazastreifen habe "einen Truppenaufmarsch dieser Größenordnung" seit dem Sechstagekrieg 1967 nicht mehr erlebt.

Keine Krankenwagen

Palästinensische Ärzte beklagten, die Armee habe Rafah hermetisch abgeriegelt und erlaube auch Krankenwagen nicht, zu den vielen Verletzten zu gelangen. "Wir haben vier Verletzte im Haus und eine Schwangere in den Wehen, wir wissen nicht, was wir tun sollen", erzählte ein Einwohner. Das kleine Krankenhaus in Rafah ist mit den vielen Verletzten völlig überfordert und für größere Operationen gar nicht ausgerüstet.

Ein israelischer Offizier bezeichnete die Offensive als "Wurzelbehandlung" gegen den lukrativen Waffen- und Sprengstoffschmuggel in der Stadt. Für die israelische Armee ist Rafah "das größte Waffenlager in den Palästinensergebieten" und eine "Eintrittspforte für den Terrorismus". Zuletzt seien immer modernere und gefährlichere Waffen durch den Tunnel geschmuggelt worden, behaupten Militärs. Hingegen warnt Yossi Sarid von der oppositionellen israelischen Meretz-Partei, Armeeeinsätze wie in Rafah führten nur zur weiteren Radikalisierung der Palästinenser: "Die Kinder, die auf der Flucht aus ihren Häusern Koffer hinter sich herziehen, sind die Terroristen von morgen." Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) stufte die Häuserzerstörungen als Kriegsverbrechen ein. (APA, red, Sara Lemel und Saud Abu Ramadan, DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2004)