Kleiner Mann, was nun? - Jim Carrey verschanzt sich mit Herzensfrau Kate Winslet in einer Kindheitserinnerung.

Foto: Constantin Film
Wien - Liebesgeschichten beginnen alle ähnlich. Eine/r trifft eine/n, und die Umstände müssen stimmen. Doch in diesem Fall läuft die erste Begegnung seltsam versponnen ab: Joel Barish (Jim Carrey) steht am Bahngleis, auf dem Weg zur Arbeit. Aus einer plötzlichen Laune heraus steigt er in einen anderen Zug, fährt nach Montauk, Long Island: ans Meer. Das Licht dort ist blendend weiß, außer dem Mädchen Clementine (Kate Winslet) mit blauen Haaren kaum jemand zu sehen.

Ein kleines Verfolgungsspiel entspinnt sich, verstohlene Blicke wechseln sich mit gespielter Indifferenz ab. Im Zug zurück, kommen die beiden dann endlich ins Gespräch. Sie ist offensiv und direkt, er verhalten bis defensiv, aber es hat den sicheren Anschein, als könnte das ein Anfang sein. Doch der Vorspann macht allem ein Ende und verhöhnt unsere Erwartungen. Denn danach sitzt Joel wieder allein und verlassen im Auto.

Jetzt aber erst setzt das Verwirrspiel an in Eternal Sunshine of the Spotless Mind (der einem Gedicht von Alexander Pope entlehnte Filmtitel wurde im Deutschen zu einem lebkuchenherzenen Vergiss mein nicht!). Unbestimmte Zeit ist vergangen, während der die Liebe von Joel und Clementine schon wieder verwelkt ist. Da es sich jedoch um einen Film nach einem Drehbuch von Charlie Kaufman handelt, gibt es noch andere Erschwernisse: Es ist auch keine Erinnerung mehr übrig. Zumindest aufseiten Clementines, die mithilfe einer ominösen Firma ihr Gehirn waschen ließ.

Von Kaufman ist man ja durch seine Arbeiten mit Spike Jonze zerebrale Maulwurfsbauten bereits gewöhnt: In Being John Malkovich führte ein Büroschacht in den Kopf des nämlichen Stars, in Adaptation verdoppelte sich der Drehbuchautor, womit sich auch die Probleme des Schreibens vervielfachten. Die Synapsen des Gehirns funktionieren anders als an der Physik des Raums orientierte kausale Erzählmuster: Eternal Sunshine . . . demonstriert das ein weiteres Mal - wobei hier jetzt die Erinnerung im Mittelpunkt einer ungewöhnlichen Rettungsmission steht.

Joel sucht nämlich mit Dr. Mierzwiak (Tom Wilkinson) den Mann auf, der schon Clementine half, ihn zu vergessen. Die Prozedur läuft achronologisch ab: Vom bitteren Ende bis zum unschuldigen Beginn werden die Erinnerungen ausgelöscht, bis die Amnesie das beschädigte Herz wieder unbeschwert schlagen lässt. Doch Kaufman und sein kongenialer Regisseur Michel Gondry sind zum Glück auch hoffnungslose Romantiker: Sodass Joel, mit den intensivsten Momenten seiner Liebe konfrontiert, zunehmend Widerstand entwickelt und zu retten versucht, was geht.

Ohne Protzerei

Während wir das Paar somit in stets ein wenig verschrobenen wirkenden Augenblicken der Intimität beobachten - viel von deren Sogkraft verdankt sich der ungemeinen Vitalität von Winslet und einem stoisch agierenden Carrey -, lösen sich Hintergründe in nichts auf, verlieren Gesichter ihre Züge, schwärzen sich ganze Räume. Gondry - neben Jonze und Chris Cunningham einer der profiliertesten Musikvideoregisseure - vermeidet dabei jede Überwältigungsstrategie.

Im Gegenteil: Wie schon in seinen Videos für Björk, die Foo Fighters oder The White Stripes wirken die Effekte auch deshalb so poetisch, weil sie wie handgemacht, im Vergleich zu digitalem Protzwerk fast ein wenig schäbig erscheinen. Dabei wagt sich Eternal Sunshine . . . in seiner Visualisierung von Kopfwelten weit vor, zumal für eine Mainstream-Arbeit: von surreal-grotesken Kindheitsbildern (Joel versteckt sich mit Clementine im mütterlichen Abwaschbecken) bis zu Szenarien der Umschreibung (Joel und Clementine lassen zentrale Momente nochmals im Dialog Revue passieren) - oder auch des Diebstahls von Gedankengut.

Für Letzteren gibt es noch eine weitere Ebene im Film, die auf vergleichsweise realem Boden spielt: Der Vorgang der Gehirnwäsche, technologisch avanciert, aber im Schlafzimmer des Mitarbeiters Stan (Mark Ruffalo) situiert, wird zur Szene eines bekifften Reigens, an dem noch die Sekretärin (Kirsten Dunst) und der Nerd Patrick (Elijah Wood) teilhaben. Hier erweist sich auch, dass die Erinnerungskosmetik (wie die Genetik) ein zutiefst zweifelhaftes Geschäft ist, wenn sich beispielsweise einer der Identität eines anderen bemächtigt.

In eine ähnliche Richtung weist auch das Ende von Eternal Sunshine . . ., das freilich nicht preisgegeben werden soll. Außer vielleicht die eine Erkenntnis, dass Liebe unter anderem auch bedeutet, dieselben Fehler - ob wissentlich oder nicht - immer wieder zu begehen. (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. 5. 2004)