Kurz vor dem EU-Russland-Gipfel am 21. Mai, wo auch der von der EU dringend geforderte Beitritt Russlands zum Kioto-Protokoll diskutiert wird, haben russische Wissenschafter eine Expertise vorgelegt, die den ohnehin lautstark agierenden Protokollgegnern im Land Schützenhilfe leistet.

In dem von Präsident Wladimir Putin bei der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN) in Auftrag gegebenen Gutachten über die Folgen der Kioto-Bestimmungen für Russlands Wirtschaft kommen die Wissenschafter zum Schluss, dass das Protokoll "wissenschaftlich nicht begründet ist" - es also nicht erwiesen sei, dass dessen Umsetzung die Klimaerwärmung zu überwinden vermag.

Weniger Heizkosten

Die Folgen der Klimaerwärmung für die Wirtschaft in Russland seien noch genauer zu erforschen, schlagen die RAN-Wisenschafter vor. In der Expertise halten sie allerdings schon mal fest - und das ist ihre zweite große Schlussfolgerung - dass die Klimaerwärmung einige positive Effekte "für das kälteste Land der Erde" habe: von niedrigeren Heizungs- und Transportkosten bis zur "Vergrößerung der Biomasse"; und überhaupt würde die Umsetzung des Protokolls die von Putin angepeilte Verdoppelung des Bruttoinlandsproduktes binnen zehn Jahren gefährden.

Putin stemmt sich nicht grundsätzlich gegen eine Ratifikation des Protokolls, unerlässliche Bedingung dafür ist Insidern zufolge aber, dass dies keinerlei negative Auswirkungen für Russlands Wirtschaft haben dürfe.

Gerade mit ökonomischen Vorteilen aber argumentieren Befürworter des Kioto-Protokolls Putin gegenüber. Industriestaaten dürfen bei Überschreitung des Emissionslimits auch Quoten von jenen Ländern erwerben, die diese Umweltvorschriften übererfüllen (siehe "Wissen" rechts oben). Russland, dessen Emissionen durch das Ende der Sowjetunion mit seiner Krise für die Industrie drastisch fielen, könnte hier regen Quotenhandel betreiben; unter anderem als Investitionsanreiz, wie im Protokoll vorgesehen.

Enorme Einnahmen

Dies bewirbt auch das russische Energieministerium: Mit den erworbenen Mitteln wären Strukturreformen, Energiesparmaßnahmen und eine Modernisierung der ineffizienten Energieanlagen zu finanzieren. Und je eher man beitrete, umso mehr könne man auch die Spielregeln mitbestimmen. Berechnungen gehen von Einnahmen bis zu umgerechnet 6,7 Milliarden Euro bis 2012 aus, die EU-Kommission nannte zwischendurch gar rund 2,5 Milliarden Euro jährlich.

Das Protokoll kann erst in Kraft treten, wenn es 55 Staaten, die zugleich auch für mindestens 55 Prozent der Schadstoffemissionen verantwortlich sind, ratifizieren. Der Anteil an der Verschmutzung der derzeit 120 Unterzeichnerstaaten liegt aber darunter. Wenn die USA als Hauptemittent nicht teilnimmt, könnte Russland, das 17 Prozent der Schadstoffe verursacht, mit seiner Ratifikation das Protokoll wirksam werden lassen. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2004)