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Antiker Disput über zeitgenössische Fragen: v. li. Demophon (Brenda Wehle), Makaria (Zainab Jah) und der flüchtige Jolaus (Jan Triska) im österreichischen Parlament

Foto: Pfarrhofer/APA

Wien - Es hätte ein heißer Tanz werden können für jenen Mann, der Flüchtlinge "einlädt", wieder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, wenn er von Abschiebung spricht. Innenminister Ernst Strasser war in gewisser Weise Teil von Peter Sellars' Inszenierung von Euripides' Herakliden, die - 2002 im Rahmen der Ruhr-Triennale erstaufgeführt - nun für die Festwochen in Parlament den Kunstraum Theater in Richtung Lebensalltag öffnen sollte.

Children of Herakles nannte Sellars seine Aktualisierung des 2500 Jahre alten Stücks: Die Flucht von Jolaus und den ihm schutzempfohlenen Sprösslingen des toten Herakles aus Argos nach Athen als Modell für die Migrantenströme des 21. Jahrhunderts zu lesen, das hat zweifellos etwas Bestechendes.

Ja, es hätte wirklich ein heißer Tanz für Ernst Strasser werden können, der im Rahmen der vorangegangenen Diskussionsrunde Asylanten aus Äthiopien und Afghanistan gegenübersaß. In den Schilderungen ihrer oft abenteuerlichen Flucht vor Folter und Krieg und den Hinweisen, teils bereits seit 2001 auf den endgültigen Asylbescheid zu warten und seither zum Nichtstun verdammt zu sein, verliehen sie jenen anonymen Zahlen, über die gremial verhandelt wird, ein beinahe provokant dramatisches Gesicht.

Gesetzmäßigkeiten

Strasser verbrachte dennoch einen gemütlichen Abend. Er kritisierte den Bundesasylsenat für die lange Verfahrensdauer und erntete dafür sogar Szenenapplaus - er sprach vom Asylrecht, als wäre dies ein von ihm unbeeinflussbares Naturgesetz. Während Moderatorin Barbara van Melle - bei allem spürbaren Engagement für die Betroffenen - die drei Flüchtlinge wie selbstverständlich duzte, unterblieb auch von Publikumsseite die Frage nach der Mitverantwortung des Ministers für das zuletzt verschärfte Asylrecht - und damit für die ausgebreiteten Schicksale. Und auch diese Zuspitzung hätte vermutlich nur zu weiterer Sophisterei geführt.

Nach der einstündigen Doch-nicht-Konfrontation sah man Euripides tatsächlich mit anderen Augen, freilich nicht so, wie es Sellars intendiert haben dürfte. Im klassizistischen Reichsratsaal, der wie von selbst den Tempel des Zeus zu Marathon imaginieren ließ, mühen sich modern gestylte Figuren redlich, das Stück seinem historischen Kontext zu entreißen.

Jolaus sitzt als schon etwas eigensinniger Greis im Rollstuhl; Kopreus, der Abgesandte seines Häschers Eurystheus, tritt in Gestalt einer toughen Anwältin auf, die sich mit der ebenso standfesten Athener Präsidentin Demophon wie vor einem Tribunal mit Worten duelliert.

Die Kinder spielen gleichsam ihre eigene Geschichte: Hat man sie doch aus jungen Asylanten ausgewählt. Wenn sie händeschüttelnd durch die Auditoriumsreihen gehen, ein "Thank you that you let me live in your country!" auf den Lippen, dann bedeutet das zweifellos einen Gänsehaut-Moment.

Dennoch: Bühne bleibt Bühne. Das Happyend - dank der sich selbst opfernden Makaria - bleibt denn auch dem antiken Stoff vorbehalten. Selten hat man die Ohnmacht und Vergeblichkeit künstlerischen Strebens nach gesellschaftspolitischer Veränderung stärker empfunden als im Zuge dieser Inszenierung in Österreich im Jahre 2004. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.5.2004)