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Archivbild Sigmund Freud, London 1938, aus dem Bestand des Archivs des Sigmund Freud-Museum Wien.

Foto: apa/sigmund freud museum

Wien – "Ich bin gar kein Mann der Wissenschaft, kein Beobachter, kein Experimentator, kein Denker. Ich bin nichts als ein Abenteurer mit der Neugierde, der Kühnheit und der Zähigkeit eines solchen", schrieb Sigmund Freud über sich. Gleichzeitig bezeichnete er die Psychoanalyse aber immer wieder als Wissenschaft und sich als Forscher. Mit solchen Widersprüchen fordert Freud dazu auf, scheinbare Sicherheiten im Umgang mit seinem intellektuellen Erbe zu überdenken, erklärte Peter L. Rudnytsky diese Woche bei einem Vortrag in der Amerikanischen Botschaft in Wien.

Aber nicht nur im Sinn einer intellektuellen Herausforderung sei es heute noch interessant, sich mit Freud zu beschäftigen, zeigte sich der US-amerikanische Literaturwissenschafter, der derzeit am Sigmund-Freud-Museum in Wien forscht, überzeugt: "Freud ist ein Klassiker, vergleichbar mit Shakespeare."

Die Fragen, die er zur menschlichen Existenz gestellt hat, seien heute noch gültig, auch wenn sich die Psychoanalyse seit Freuds Tod 1939 in einem Abnabelungsprozess weiterentwickelt habe. Jede Generation müsse ihren eigenen Zugang zu Freuds Erbe finden.

Doch einige Grundsätze behielten bis heute ihre Gültigkeit: etwa die Annahme, dass die Psyche ein Ort der Konfliktaustragung sei, die unbewusste Natur beinahe aller Motivationen, die Einsicht, dass Moral nur eine Komponente im täglichen Handeln darstellt, die sich ständig gegen andere Einflüsse behaupten muss. Und die Erkenntnis, das der Mensch ein Produkt seiner Begierden ist, man eine Person erst dann wirklich kennt, wenn man auch über ihre sexuelle Geschichte Bescheid weiß.

Rudnytsky plädierte auch dafür, dass sich die Psychoanalyse neben ihrer Rolle als Therapieform als Wissenschaft begreift und sich mit wissenschaftlichen Kriterien messen lässt: "Man soll den Beweis antreten, dass die Annahmen wahr sind." Er forderte auch den Dialog mit "modernen" Wissenschaften wie der Neurologie und ihren bildgebenden Verfahren.

Der populäre Freud

Gleichzeitig dürfe man aber den populären Freud nicht vernachlässigen: Über Ausdrücke wie "Freudscher Versprecher" sei dieser sogar in die allgemeine Sprache eingedrungen. Sein Name suggeriert etwas Verborgenes, das plötzlich an die Oberfläche kommt und doch einen wahren Kern hat. Freud wäre darüber wohl erfreut, schließlich betonte er immer wieder, dass er auf der Seite des einfachen Volkes und nicht der Wissenschaft stehe, schilderte Rudnytsky: In dem Sinn habe Freud die Psychoanalyse begründet, sie aber auch in ihrem wissenschaftlichen Anspruch zugleich verraten. (Elke Ziegler/DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.2004)