Das zunehmende Wissen über Infektionskrankheiten auslösende Viren und Bakterien, gepaart mit dem rasanten Fortschritt der Molekularbiologie, eröffnet nicht nur neue Chancen, sondern birgt auch Risken: Mit der gleichen Technik, mit der man Krankheitserreger unschädlich macht und zu einem Heilbehelf umfunktioniert, werden Keime auch zu gefährlichen Killern, zu Agenzien von Biowaffen gemacht.

Dieses "Dual-Use-Problem" besteht bei allen Institutionen, die mit gefährlichen Erregern arbeiten oder gearbeitet haben: Jeder Experte kann sein Wissen prinzipiell defensiv oder offensiv einsetzen. Um das Risiko, dass ein solcher aus welchen Gründen auch immer zu einem Handlanger von "Schurkenstaaten" oder Terrorgruppen wird, zu verringern, war und ist es - zumindest offiziell - üblich, die Arbeiten mit hochgefährlichen Erregern auf verschiedene Forscher aufzusplitten: Das Know-how für Sequenzierung, Herstellung, Vervielfältigung und Aufbereitung wird so auf viele Personen verteilt. Was aber zu wenig ist, wie jüngste Beispiele zeigen.

Australische Biologen listeten in einem Fachjournal Punkt für Punkt, also für jeden Wissenschafter reproduzierbar auf, wie sie auf der Suche nach einem Empfängnisverhütungsmittel ein Supervirus entwickelt hatten: Sie hatten einen entschärften Mäusepockenerreger genetisch so manipuliert, dass er den Mäuseorganismus zur Produktion von Antikörpern gegen Eizellen hätte anregen sollen. Stattdessen kam jedoch ein Killervirus heraus, das sämtliche Labormäuse umbrachte. Mit menschlichen Pockenviren sei dies ebenfalls möglich, schrieben die Forscher.

Alles im Fachhandel

US-Wissenschafter wiederum publizierten bis ins letzte Detail, wie man das Polio-Virus, den Erreger der Kinderlähmung, nachbauen kann: Infos über entsprechende DNA-Sequenzen könne man sich aus dem Internet herunterladen; gentechnische Apparaturen, um die Basenpaare zusammenzubasteln und in Virus-RNA umzuwandeln, seien in gut sortierten Fachhandlungen erhältlich. Dies funktioniere auch mit Krim-Kongo-Erregern, Ebola- und Lassaviren und anderen biowaffentauglichen Keimen ("Gruppe-4-Pathogene").

Diese Kochbücher für Bioterroristen führten im Vorjahr schließlich zum Entschluss etlicher internationaler Fachmagazine, sich eine Selbstzensur aufzuerlegen, um derart heikles Wissen nicht weltweit zu verbreiten. Die US-Regierung verlangt seither von Forschungseinrichtungen Rechenschaft über deren Arbeiten mit 38 auf eine wissenschaftliche Watchlist gesetzten Pathogenen. Und der US-Senat hat erst vergangenen Mittwoch 4,67 Milliarden Euro für das Programm "Bio-Shield", für Maßnahmen zum Schutz vor Bio- und Chemiewaffen bewilligt. Das Geld soll zur Entwicklung und Bereitstellung von Gegengiften und Impfstoffen für Krankheiten wie Anthrax oder Pest (siehe Wissen) eingesetzt werden.

Daneben arbeiten Wissenschafter, allen voran jene im Sold des US-Militärs, an "gentechnischen Anti-Material-Agenzien" (Gama): Bakterien, die Asphalt von Straßen und Rollfeldern zersetzen, Tarnfarben und Treibstoff fressen, Filter verstopfen und Getriebe zerreiben, und Mikroben wie etwa Pseudomonaden, die Metall verrosten lassen. Die Forschung an solchen nicht tödlichen, dafür ökologisch verheerenden Viren- und Bakterienwaffen wurden erst vor zwei Jahren bekannt: Als sie das US-Militär von der US-Akademie der Wissenschaften evaluieren ließ - dort unterliegen sie keiner Geheimhaltung.

Vision Gentherapie

Auf der anderen Seite werden das Wissen über Erreger und die Möglichkeiten der Gentechnik auch für die Entwicklung neuer Therapieformen eingesetzt. Prominentestes Zukunftsszenario ist die Gentherapie: Funktionieren Zellen im menschlichen Körper wegen Genschädigung oder ererbten Gendefekts nicht mehr richtig, sollen Ersatzgene Abhilfe schaffen. Um diese in die Zielzellen zu bringen, bedient man sich Viren, die von Haus aus die krank machende Angewohnheit haben, sich in Zellen einzuschleusen, als Transportmittel (siehe Grafik).

Dem Virus wird das therapeutische Gen eingepflanzt, es wird so programmiert, dass es seine Fracht an der richtigen Stelle im kranken Erbgut einbaut, und es wird genetisch "entschärft", damit es dem Patienten nicht auch noch eine Infektionskrankheit aufhalst.

Gegen Krebs manipuliert man den viralen Heilbehelf so, dass er sich in Tumoren so lange vermehrt, bis alle Krebszellen infiziert und mit einem "Zusatzgen", das sie für eine Chemotherapie verwundbar macht, versorgt sind.

Neben Viren gibt es auch Bemühungen, Bakterien zu Heilbehelfen umzufunktionieren: Sie sollen als eine Art Packesel Medikamente an einen bestimmten Zielort transportieren. Dafür kombiniert man sie mit "Phagen", das sind Bakterienparasiten, die sich auf Bakterienhüllen setzen, ein Loch in sie bohren und ihre DNA hineinschicken. Normale Phagen sind für Bakterien tödlich, aber manche lassen sich durch Mutationen harmlos machen und sitzen dann einfach außen auf den Bakterien. An ihnen will man Medikamente anhängen. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Printausgabe, 21.5.2004)