Göttingen - Ein guter Witz bringt sie buchstäblich zum Umkippen, und zu den unpassendsten Zeiten überwältigt sie ein unbändiger Schlafdrang. Schätzungsweise 3.000 Menschen leiden in Deutschland an schweren Formen von Narkolepsie. Die Gesamtzahl der Betroffenen liegt vermutlich zehn Mal höher. Meist wird die rätselhafte Krankheit, deren genaue Ursachen noch weitgehend im Dunkeln liegen, jahrelang nicht erkannt oder schlimmer noch irrtümlich als Epilepsie oder Schizophrenie gedeutet.

Lahm gelegte Muskulatur

Starke Emotionen gilt es zu vermeiden. Denn ein guter Witz, ein starker Schreck, Wut im Straßenverkehr oder Euphorie beim Sport können die gesamte Muskulatur lahm legen. Wie etwa bei einer jungen Frau, die in der Discothek nach dem Kompliment eines Verehrers umgehend zusammensackte. Aber während die Muskulatur bei einem solchen kataplektischer Anfall schlaff ist wie im Schlaf, arbeiten Wahrnehmung und Verstand ungetrübt.

Kataplexie dauert nur Sekunden

Auch wenn die meist nur einige Sekunden dauernde Kataplexie etwa im Straßenverkehr gefährlich sein kann, sie bietet einen Vorteil: Sie ist das auffälligste Kennzeichen von Narkolepsie und damit eine wichtige Hilfe bei der Diagnose der neurologischen Störung. Denn ehe die Erkrankung diagnostiziert wird, vergehen oft zehn bis 20 Jahre, wie der Schlafmediziner Professor Geert Mayer von der Hepatha-Klinik Schwalmstadt-Treysa betont.

Schleichender Beginn

In der Regel beginnt die neurologische Erkrankung schleichend, vorwiegend im Alter zwischen zehn und 20 Jahren. Die Kinder und Jugendlichen neigen anfangs bei monotonen Tätigkeiten zum Einnicken. Der Rat von Eltern und Lehrern, früher ins Bett zu gehen, nutzt nichts, denn Narkoleptiker brauchen insgesamt nicht mehr Schlaf als andere Menschen. Legen sie tagsüber kleine Schlafpausen ein, liegen sie nachts mitunter sogar stundenlang wach.

Wenn sich die neurologische Erkrankung in den folgenden Jahren weiter ausprägt, überwältigt die Betroffenen der Schlaf auch bei aktiven Handlungen wie etwa im Gespräch, beim Autofahren oder während des Essens. "Da kann beim Essen der Kopf in den Teller fallen", berichtet Mayer. Selbst bei solchen stärkeren Symptomen wird die Schläfrigkeit oft falsch gedeutet. Vor allem am Arbeitsplatz sind Narkoleptiker gezwungen, ihren Schlafdrang zu verheimlichen.

Sofortiger REM-Schlaf

Mayer erzählt von Patienten, die sich täglich einige Minuten in der Toilette einschließen. Nach dem kurzen, aber zwingend notwendigen Nickerchen sind sie für die nächsten Stunden wieder topfit. Oft nehmen Narkoleptiker im Zustand der Schläfrigkeit lebhafte, traumähnliche Bilder wahr, die sich mit der Realität vermischen.

Ist die seltene Erkrankung nicht bekannt, vermuten viele Betroffene, aber auch manche Ärzte hinter diesen Halluzinationen psychische Erkrankungen. Dabei liegt der eigentliche Grund in einer weiteren Besonderheit der Narkoleptiker. Bei ihnen setzt im Gegensatz zu anderen Menschen die Traumphase, der so genannte REM-Schlaf, sofort beim Einschlafen ein.

Bestimmte Form des Gens HLA

Der Ursache der mysteriösen Erscheinung kommen Forscher nur langsam auf die Spur. Mayer vermutet, dass mehrere Faktoren zusammentreffen müssen, um eine Narkolepsie auszulösen. Auffällig ist vor allem, dass fast alle Narkoleptiker eine bestimmte Form des Gens HLA tragen, die sonst nur bei etwa einem Viertel der Bevölkerung auftritt. Vermutlich ist jedoch noch mindestens ein weiterer Faktor notwendig, möglicherweise ein körperliches oder psychisches Trauma oder eine Infektion.

Narkolepsie ist zwar nicht heilbar, beeinträchtigt die Lebenserwartung aber nicht. Undiagnostiziert ist die Krankheit für die Betroffenen im Beruf wie im Privatleben äußerst belastend. Wird sie dagegen erkannt, können nicht nur Angehörige und Bekannte über die Ursache der Schlafneigung aufgeklärt werden. Auch die Symptome lassen sich so weit reduzieren, dass die Patienten ein nahezu normales Leben führen können.

Schlafpausen Antidepressiva

Wichtig ist vor allem, dass Narkoleptiker sich tagsüber regelmäßig kurze Schlafpausen gönnen. In der medikamentösen Therapie schützen laut Mayer Stimulanzien wie der Amphetamin-Abkömmling Ritalin oder neue Präparate wie Modafinil die Patienten vor Schlafattacken. Gegen die Halluzinationen helfen Antidepressiva. Diese werden nicht wegen ihrer stimmungshebenden Eigenschaften verordnet, sondern wegen eines Nebeneffekts: Sie unterdrücken den REM-Schlaf. (APA)