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In dieser Kantine spucken Kleingeister große Töne: v. li. das Mädchen Eva (Gertrud Drassl), der Stadtrat (Kurt Sobotka) und der verhuschte Projektemacher Adam (Toni Slama).

Foto: APA/Gindl
Wien - Ehe die braunen Horden 1933 darangingen, mit der Gleichschaltung aller Lebensbereiche ihren großdeutschen Ernst zu machen, zogen die Dramatiker davor noch einmal die Seelenregister.

Die kleinsten Pfeifen spuckten die größten Töne. Im Milieu kleinstädtischer Wohlanständigkeit mischen sich unter die Bierfahnen bereits die Banner mit dem Hakenkreuz. Weh' uns, lächelt die sträflich vergessene Sozialdramatikerin Anna Gmeyner (1902-1991), wenn die Kleinbürger, die ohnedies zur Handgreiflichkeit neigen, ihrer Biederseligkeit auch noch Idealismus beimengen.

Gmeyners herrliches Volksstück Automatenbüfett, für das die Vielseitige '32 anlässlich der Kleist-Preisverleihung eine Belobigung erhielt - einen Bettel -, macht auf die Behauptung die Mutprobe. Ein undinenhaftes, scheinbar unkompliziertes Mädchen namens Eva (Gertrud Drassl) wird vom wunderlichen Gemahl (Toni Slama) einer ältlichen Büfett-Besitzerin (Gertrud Roll) aus dem kommunalen Fischteich gezogen. Sie hat, um in der schmutzigen Kantine ihr Daseinsrecht nicht zu verwirken, niederste Dienste zu verrichten.

Sie verspürt beiläufig, dass sie über die Männer erotische Macht ausübt. Und weil im Wiener Josefstadt-Theater, wo Hans-Ulrich Becker tadellos tiefenscharf inszeniert hat, eine Art Panikorchester den Ton angibt, fühlt man sich an das Beste erinnert, was Küche und Keller und Ödön von Horváth eben so hergeben. Hergegeben wird aber nur das Notwendigste. Die Glastüren in der Automatenwand von Frau Adam (Roll), die wie eine etwas verhärmte Mörderspinne in ihrer schleimig grünen Bar sitzt (Drehbühne: Alexander Müller-Elmau), kalt bis ans reisige Herz, das nur auf einen Zündfunken wartet, spucken Brötchen aus - und verabreichen Bier.

Diese Hölle auf Erden ist eine Durchlaufstation für Oberförster und Kleinstadtschulräte auf dem Weg ins Nazi-Reich - der Schulrat (Alexander Waechter) ein fideles Mördermännchen, das seinen Ungeist in Kalenderweisheiten eingeweckt hat.

So gut wie die Gmeyner muss man das erst einmal auf ein Blatt Papier hinschreiben. Denn während das einlaufende Bier zischt und gluckert, verfolgt der zerstreute Hausherr Adam (Slama) trübe Zwecke. Der vor Ort amtierende Fischerei-Verband plant ein kolossales Zuchtprogramm, und das Begehrlichkeit weckende Mädchen Eva soll in seinem Auftrag bei den Stadtoberen den Boden bereiten. Drassl wiegt beim Bieraustragen die Hüften - ein gelassenes Wesen, das erst bei Gelegenheit eines stocktrunkenen Fanals mit flackerndem Blick, hoch zu Tisch wie ein Ausrufezeichen, die Welt in den zu ihren Füßen gähnenden Abgrund hineinverdammt. Ein zauberischer Moment.

Denn am anderen Ende der Skala hockt und schwärt das andere, tolle Elend dieser fabelhaften Produktion: Der Müßiggänger und Mietgast Pankraz (Michael Dangl), der in kurzen Hosen und geduldigen, tigerhaften Bewegungen Frau Adam umkreist, ehe er sich zum Sprung duckt.

Der sich das Büfett unter den Nagel reißt, die Adam in den Untergang hinein betört und den anderen Hungerleidern die Knackwürste vor der Nase wegfrisst. Ein Faun mit angeklatschtem Haar; ein ruchloser Vetter auch der Horváth-Charmeure. Aber im selben Atemzug mit letzterem Dichter wird man künftig auch die Gmeyner nennen dürfen. Nein: müssen. (DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.5.2004)