Als sich die Generalität an einem Tag im Jahr 1989 frühmorgens im Stab einfand, erschrak sie zutiefst. Der Feind war weg. Er war nicht geflüchtet, er war auch nicht desertiert, es war viel schlimmer: Der sowjetische Block hatte sich einfach aufgelöst.

Seit damals werden Jahr für Jahr rund 17.000 junge Männer zum Kampf gegen einen verschwundenen Feind eingezogen und ausgebildet. Einige Regierungsmitglieder, die selbst aufgrund spontaner Erkrankungen nicht dienen konnten, bekennen sich zur Wehrpflicht. Begründen können auch sie den militärischen Zwangsdienst nicht mehr. Jetzt soll die Pflicht auf sechs Monate verkürzt werden. Alle freuen sich über die gewonnenen zwei Monate. Über die verlorenen sechs werden wir bald wieder reden.

Wozu braucht Österreich Präsenzdiener?

Wozu braucht Österreich Präsenzdiener? Die Bundesheer-Reformkommission hat einhellig bestätigt, dass die klassische militärische Landesverteidigung - der Krieg gegen die fremde, meist rote Armee - vorbei ist. Im Inland bleiben dem Militär Aufgaben des Souveränitätsschutzes in Friedenszeiten. Damit ist im besten Fall ein Teil der jetzigen Berufssoldaten zu beschäftigen. Lawinenschutz und Hochwasser? Wer Schnee schaufeln und Sandsäcke schleppen soll, muss nicht an Kampfpanzer und Artillerie ausgebildet werden und tut sich vor Ort ohne Sturmgewehr leichter. Auslandseinsätze? Auch die härtesten Burschen in der Landesverteidigung denken nicht daran, Präsenzdiener in den Kongo oder nach Ruanda zu schicken.

Letzte Begründung

Als letzte Begründung für den Präsenzdienst bleibt der Assistenzeinsatz im Osten. Weil sich Österreich finanziell keine Polizisten zum Schutz der Schengen-Außengrenzen leisten will, müssen 14.400 billige Präsenzdiener rumänischen Familien nachjagen. 14.400 der 17.000 Wehrdiener - das sind 85 Prozent. Der Rest sitzt als Systemerhalter seine Zeit ab.

Ungarn, Tschechien, Slowenien und die Slowakei werden zwischen 2008 und 2010 dem Schengen-Vertrag beitreten. Ab dann hat Österreich keine Schengen-Grenze mehr zu schützen. In wenigen Jahren fällt damit der letzte Grund für die Wehrpflicht. Trotzdem droht eine Empfehlung der Reformkommission, mit sechs Monaten über das Jahr 2010 weiterzumachen. Dann werden sich 17.000 Präsenzdiener zum ersten Mal auf den Kern der Kasernensinnlosigkeit reduziert finden: alles grüßen, was sich bewegt, alles putzen, was sich nicht bewegt.

Abschaffung mit gutem Grund

In ganz Europa hat die Abschaffung der Zwangswehrdienste einen guten Grund. Das Militär hat seine alte Aufgabe verloren und eine neue gewonnen: die internationalen Einsätze im Auftrag von UNO oder EU.

Im besten Fall nehmen die neuen Streitkräfte immer deutlicher die Form einer globalen Polizei an. Der Internationale Strafgerichtshof verhandelt schwere staatliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und fällt seine Urteile. Der Sicherheitsrat ordnet deren Vollstreckung an und ersucht Entsendestaaten um Truppen. Zwar setzen die USA nach wie vor auf das Recht und die Willkür des Stärkeren. Die EU geht aber bereits den rechtsstaatlichen Weg - und hat mit dem Strafgerichtshof begonnen, auch gegen den Willen der USA dafür die Einrichtungen und Verfahren zu schaffen. Jetzt stellt Europa die Streitkräfte dafür auf und schafft die ersten Einheiten einer globalen Polizei, die im Gegensatz zum alten Militär an klare Regeln und Verfahren gebunden ist.

Dabei geht es nicht um die Größenordnungen der neuen amerikanischen Kolonialkriege. Nach den Rechnungen des damaligen kanadischen Kommandeurs hätte eine Einheit in der Größe der geplanten österreichischen Framework-Brigade ausgereicht, den Massenmord an den Tutsis in Ruanda zu verhindern.

Soldaten werden Beruf sorgfältig erlernen

Die Soldaten dazu werden ihren Beruf genauso sorgfältig erlernen wie Polizisten, die im Inland ihren Dienst tun. So wie niemand auf die Idee kommt, für den Polizeidienst Grundpolizeidiener zu verpflichten, wird schon bald der Grundwehrdienst eine Erinnerung an die Zeit der Armeen des Kalten Kriegs sein.

Wie hoffnungslos die Verteidigung des militärischen Zwangsdienstes ist, zeigt das Schlüsselargument seiner letzten Befürworter: Wir brauchen den Präsenzdienst, weil wir nicht auf den Zivildienst verzichten können. 17.000 junge Männer sollen sechs Monate ihres Lebens in Kasernen totschlagen, weil sich Österreich keine normal bezahlten Altenpfleger und Rettungsfahrer leisten will.

Mangel an Arbeitskräften

Wenn die Reform 2010 ihr Ziel erreicht, kommt noch etwas dazu. Um diese Zeit wird die demografische Entwicklung den Arbeitsmarkt drehen. Wo heute noch Arbeitsplätze fehlen, schaffen geburtenschwache Jahrgänge rund um 2012 einen Mangel an Arbeitskräften. Wer dann noch junge Männer zwangsweise von Ausbildung und Arbeit fern hält, muss für Ersatz sorgen. Wahrscheinlich wird dann die FPÖ ein Volksbegehren gegen Einwanderung und Wehrpflicht starten.

Jetzt, vor dem Sommer, wird die Reform nicht am Widerstand der FPÖ scheitern - dazu ist die FPÖ bereits zu schwach und auch im Militär zu isoliert. Die Hauptgefahr droht durch eine zu kleine Reform. Die Wehrpflicht ist der Maßstab. Wenn die Kommission nicht alle Weichen auf Abschaffung stellt, wird die nächste Kommission spätestens 2010 mit den Aufräumarbeiten beginnen. Ich wünsche mir dann wieder Helmut Zilk als Vorsitzenden. (DER STANDARD, Printausgabe 24.5.2004)