"Merci!" Wahnsinn! Zum ersten Mal seit 50 Jahren erhält ein Dokumentarfilm die Goldene Palme in Cannes, ein Film, der (nach Meinung mancher Kommentatoren) dem Wahlkampf von George W. Bush nachhaltig schaden soll - warum aber wirkt das siegesgewisse Lächeln von US-Filmemacher Michael Moore und seinem Produzenten Harvey Weinstein so eingefroren? Schimmert da so etwas wie Angstschweiß auf ihrer Stirn?

Der immense Medienrummel rund um Fahrenheit 9/11 in Cannes, das große Schulterklopfen, das - bevorzugt vonseiten amerikanischer Journalisten - einsetzte, die Hoffnungen, die da in Angelegenheiten eines wahrhaft investigativen, kritischen Kinos wieder laut wurden: Was können sie realpolitisch wirklich bewirken? Droht hier - sollte der Film tatsächlich Anfang Sommer in den US-Kinos und dann weltweit starten - nicht ein veritabler Pyrrhussieg?

Keine Frage: Man muss kein Prophet sein, um sagen zu können, dass Fahrenheit 9/11 sowohl im Kino als auch später auf DVD gehörig Kasse machen wird. Aber was bedeutet dies für Weinstein und seine Firma Miramax, die sich damit möglicherweise für Jahre lebensnotwendige Partnerschaften (Disney ist nicht umsonst Teilhaber) verbauen?

Was bedeutet es weiters für Moore, der gerade jetzt, da Tageszeitungen und TV-Stationen praktisch täglich mit Folterbildern aus dem Irak gegen Bush feuern, seine "stärksten" Szenen nicht einmal ins Internet stellen kann - einfach, weil zu dem Riesenapparat, den er mittlerweile um sich aufgebaut hat, auch Heerscharen von Agenten und Anwälten gehören, die das dokumentarische Material schlicht in Richtung von Kosten-Nutzen-Rechnungen abwägen?

Was bedeutet dies nicht zuletzt für einen Film, der letztlich mit derselben Kosten-Nutzen-Rechnung wie Harry Potter oder Die Passion Christi auch fürs breite Multiplexpublikum funktionieren soll? Dass die letzten Präsidentschaftswahlen in Florida manipuliert wurden - darüber hat Michael Moore schon in mehreren Bestsellern gewitzelt: Dennoch wird er eher als begnadeter Alleinunterhalter denn als investigativer Kopf bejubelt. Für breite Teile der Öffentlichkeit scheint er zum Bild eines mitunter äußerst ungeschickten US-Präsidenten Bush ebenso unabdingbar dazuzugehören wie einst Stan Laurel zu Oliver Hardy. Oder, wenn man in etwas epischeren Proportionen denkt: Moby Dick und Käpt'n Ahab. Der eine ist ohne den anderen nicht denkbar, bis in den (gemeinsamen) Untergang.

Daran mag auch der französische Filmemacher und Autor Jean-Luc Godard gedacht haben, als er in Cannes kritisch einwandte: "Womöglich unterstützt Michael Moore Bush - er weiß es nur nicht." Wobei man gar nicht von "Unterstützung" sprechen muss, sondern von einer Form von Kommunikation, einer Anordnung von kommunizierenden Gefäßen gewissermaßen, in denen sich - und diese Erkenntnis ist beileibe nicht neu - Medien und Politik gegeneinander (ver-)stärken.

Ähnlich wie die Folterbilder aus dem Irak, die erzählen, wie grausam Krieg seit jeher sein kann, hat auch Michael Moore dem altbekannten Bild eines republikanischen Präsidenten, der es sich sogar leisten kann, ignorant und tollpatschig zu sein, wenig mehr hinzuzufügen als ein paar neue, blumige, wenn man so will: vermarktbare Details. Das ändert aber nichts daran, dass er im Prinzip in denselben Formaten arbeiten muss wie seine Gegner. Und zwar schlicht deshalb, weil man mit anderen Formaten kein Millionenpublikum erreichen kann - bis sich eben die Frage stellt, ob es nicht gerade diese Formate und Kosten-Nutzen-Kalküle sind, mit denen man Interessen steuert und/oder negiert.

Von hier wäre es dann nicht mehr weit zu Erwägungen, was sich aus der Sicht von Michael Moore in einem von Demokraten regierten Amerika wirklich ändern könnte: die Mediengeflechte vermutlich nicht. Gut möglich, dass Harvey Weinstein also auch nach einem Wahlsieg von John Kerry noch einen hohen Preis für einen spektakulären Ausreißversuch bezahlt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 5. 2004)