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Das Problem ist am Tisch: Ein Wein, mit Korkverdacht. Am einen Ende der Straße der Gute, nämlich der Gast; am anderen der Böse, der Oberkellner in schwarzem Anzug. Wer zieht schneller?


Es ist für niemanden angenehm, aber es kommt vor, ziemlich häufig sogar: Wein wird bestellt, Wein wird serviert, Wein wird geöffnet und ein Lackerl davon zum Verkosten gereicht. Das sind Rituale der Macht. Denn die Gastronomie ist nicht nur eine streng hierarchische Welt, sie ist auch archaisch, das heißt, gekostet wird also vom Leitwolf, egal, ob er sich am besten auskennt, Oberkellner und Sommeliers checken damit auch gleich ab, wer im Laufe des kommenden Essens der ist, von dem womöglich die Probleme ausgehen (es gibt Menschen, also konkret Männer, die aus keinem anderen Grund essen gehen, als Stunk zu machen).

So, jetzt kann der Leithammel die Verantwortung der Erstverkostung natürlich abgeben, etwa an einen, der als Weinfuzzi und Fachidiot in der Runde bekannt ist und sogar den Aschegehalt im Wein degustatorisch feststellen kann, oder vielleicht sogar an eine der anwesenden Damen. Wofür vieles spricht, zum Beispiel die immer wieder berichtete feinere Nase oder – noch wichtiger – die Unbelecktheit von männlichen Weinritualen. Nur hat sich der Leithammel dann in den Augen des servierenden Personals halt nicht als Gentleman oder gar als weiser Delegierer erwiesen, sondern schlicht als Weichei, von dem nichts zu befürchten ist und mit dem man sich daher in Folge spielen kann.

Soviel zum Vorspiel. Jetzt ist da also der Wein im Kostglas und riecht komisch. Stress, denn um jetzt mit eiserner Miene „Kork“ rufen zu können, braucht es erstens ganz schön ein Selbstbewusstsein (oder enorme Kenntnis des gekosteten Weines), es ist ja schließlich der unerwünschte Fall, den man ganz gerne vermeiden würde, Konflikt zieht auf, und wer weiß denn schon genau, ob das jetzt nicht auch ein Schieferton vom Boden sein kann, ob das die ganz typische Eigenart dieses Weins ist (einer der teuersten Rotweine der Welt ist berüchtigt dafür, immer irgendwie ein bisserl nach Kork zu stinken), oder ob man seiner Nase so völlig vertrauen kann.

Der Regelfall sieht dann für gewöhnlich so aus, dass man noch jemanden anderen am Tisch schnüffeln lässt (dann ist man schon einmal zu zweit!), sich zunickt und unisono „Kork“ sagt. Wie dann verfahren wird, ist äußerst unterschiedlich. Entweder man hat es direkt mit dem Sommelier zu tun, der dann auch ins Glas riecht und – in renommierten Häusern – den Gästen Recht gibt, egal, ob’s stimmt oder nicht (hängt auch vom Preis der Flasche ab); oder der Wein wurde von jemanden der niedrigeren Chargen serviert, der zur Feststellung der Kork-Wahrheit dann den Sommelier an den Tisch holt, was dann natürlich gleich wieder eine Verschiebung des Autoritätsverhältnisses bedeutet. Der Typ ist meistens schwarz angezogen, schaut streng und ist im schlimmsten Falle auch noch Franzose (dann kann man’s eh schon vergessen). Wer zielt besser, wer zieht schneller?

Mit Argumenten braucht man in so einem Fall nicht kommen, wobei eine kleine Lüge (etwa, dass man der Cousin des Winzers ist, den Wein jede Woche trinkt und daher weiß, was Sache ist; oder dass man John Parker heißt und einen Bruder namens Robert hat) die Position mitunter verbessern kann. Schließlich lügen Sommeliers ja auch, früher etwa sagten sie, dass es sich bei dem Gestank von feuchtem Karton um „Barrique“ handle, modern ist auch, den Kork als „Brett“ (Pretanomyces, ein Pilz, der beim Wein für den Pferdesattel-Geruch sorgen kann, mehr eine Eigenart als ein Fehler) zu bezeichnen oder – auch sehr beliebt – den eigenartigen Geschmack als „Boden-Ton“ vulgo „Terroir“ zu identifizieren. Sodass man gefälligst also auch noch dankbar sein sollte für den fehlerhaften Wein.

Entziehen kann man sich der Debatte normalerweise sehr leicht, indem man eine zweite Flasche vom gleichen Wein öffnen lässt und einfach vergleicht. Auf was in letzter Zeit aber immer weniger Sommeliers einlassen, viel häufiger tritt dann der Fall ein, dass es sich plötzlich um „leider die letzte Flasche“ handelt und der Vergleich damit leider flach fällt. Klar, Zeit ist Geld, und man geht einem potentiellen Eingeständnis eines Irrtums aus dem Weg, vermeidet Autoritätsverlust. Oder auch nicht schlecht: selektive Taubheit, und man kann das Wort „Kork“ aufgrund medizinischer Ursachen einfach nicht hören. Unlängst in einer kalifornischen Winery erlebt, wo der Ausschenkende auf den Einwand „Cork!“ mit froher Miene „You think, it’s cold?“ antwortet, und bei Beharrung auf „No, the wine ist corked“, mit „ah, you think, it’s good, yes, yes“ antwortet. (Als wir es ihm dann irgendwie klar gemacht hatten, dass wir ihn auch nicht als „old“ empfanden, sondern schlichtweg als korkig, nahm er die Flasche vom Tisch und beendete die Verkostung ...).

Es gibt Wirte, die Weine mit Korkverdacht ohne Zögern und ohne weitere Debatte zurücknehmen, weil sie die Gästwe/Kunden froh erhalten wollen. Das sind wenige. Und es gibt solche, die grundsätzlich nur Weine verkaufen, die gar nicht korken können, weil sie „gut und teuer“ sind. Solche Vollkoffer sind aber zum Glück auch eher selten geworden.