Wien – In den neuen EU-Ländern Mittelosteuropas wird bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Juni generell eine geringe bis sehr geringe Beteiligung erwartet. Das ist der Tenor einer Studie des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM), die am Dienstag im Wiener Informationsbüro des Europaparlaments vorgestellt wurde. Effekt dieser Wahlmüdigkeit oder Politikverdrossenheit könnten Erfolge populistischer EU-kritischer bis -feindlicher Parteien sein. Darauf lassen jedenfalls aktuelle Umfragen schließen.

Populisten vorn

In der Slowakei liegen die linkspopulistischen Parteien Smer (Richtung) von Róbert Fico und HZDS von Expremier Vladimír Meciar mit 26 bzw. knapp 20 Prozent in den Umfragen klar vorn, wie Aneta Antusová von der Slowakischen Gesellschaft für Außenpolitik erläuterte. Erst an dritter Stelle folgt, mit deutlichem Abstand, eine Regierungspartei: die christdemokratische SDKÚ von Premier Mikulás Dzurinda. An der Wahl teilnehmen wollen nach derzeitigem Stand höchstens 30 Prozent der Stimmbürger.

Die Ursachen dafür sieht Antusová teils in Wahlmüdigkeit (heuer gab es bereits drei Urnengänge), teils in einem lustlosen Wahlkampf mit großteils unbekannten Kandidaten. Dies alles vor dem Hintergrund einer 70-prozentigen Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft bei gleichzeitigem Fehlen einer "substanziellen Europa-Debatte".

Auch bei den meisten Ungarn ortet László Kiss vom Außenpolitik-Zentrum des Teleki-László-Instituts in Budapest "ein abstraktes Europabild". Dieses verbinde sich mit der "extremen innenpolitischen Polarisierung" zwischen der Fidesz-Bürgerbewegung von Viktor Orbán und dem von der Sozialistischen Partei (MSZP) dominierten linken Lager. Zeichen des Populismus ortet Kiss in allen Lagern, allerdings mit deutlicher Schlagseite zu Orbán.

Orbán ist zwar grundsätzlich proeuropäisch eingestellt, rückt aber immer stärker das nationale Element in den Vordergrund, wenn er etwa fordert, Ungarn dürfe sich nicht davor fürchten, groß zu sein. Premier Péter Medgyessy wiederum legte der Opposition einen Ball auf, als er vorschlug, die vier Parlamentsparteien sollten für die EU-Wahl eine paritätische Einheitsliste aufstellen. Das weckte unselige Erinnerungen an die kommunistische Volksfront.

In der Tschechischen Republik könnten die EU-Wahlen zum Katalysator größerer Veränderungen in der Parteienlandschaft führen, meint der Politologe Ladislav Cabada von der Universität Pilsen. In den Umfragen liegt die euroskeptische Demokratische Bürgerpartei (ODS) von Staatspräsident Václav Klaus mit großem Abstand an erster Stelle. Um Platz zwei kämpfen die noch deutlicher anti-EU- eingestellten Kommunisten (KSCM) und die mit einer Mitte-links-Koalition regierenden Sozialdemokraten (CSSD).

Falls die Kommunisten die Sozialdemokraten überflügeln, erwartet Cabada bei Letzteren einen Entscheidungskampf zwischen dem Lager, das eine Zusammenarbeit mit der KSCM anstrebt, und jenem, das diese strikt ablehnt.

Als Hauptursache für die verbreitete Proteststimmung sieht der Politologe den unentschlossenen Reformkurs der Regierung.

Ausnahme Litauen

Eine der wenigen Ausnahmen bei der Wahlbeteiligung dürfte Litauen bilden, wie die Politologin Ausra Raulickyte von der Universität Vilnius darlegte. Dort werden mehr als 80 Prozent der Stimmbürger an den Urnen erwartet. Aber wohl nicht in erster Linie wegen europäischer Begeisterung. Denn gleichzeitig mit den EU-Abgeordneten wird ein Nachfolger des wegen Korruption abgesetzten Staatspräsidenten Rolandas Paksas gewählt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.5.2004)