Wien - Volksanwalt Ewald Stadler will seinen Amtskollegen eine "Missstandserklärung" zur Causa Grasser vorlegen. Darin kritisiert er die Staatsanwaltschaft: Sie habe keine eigenständige Erhebung über den Wert der Homepage durchgeführt, die der "Verein zur Förderung der New Economy" für den Finanzminister betreibt. Stadler will mit seiner Missstandsfeststellung erreichen, dass ein Gutachter mit der Causa befasst wird. Dieser soll klären, welchen Wert die von der Industriellenvereinigung finanzierte Homepage von Finanzminister Karl-Heinz Grasser tatsächlich hat.
Vom Geldwert ist abhängig, ob es zu einem Strafverfahren wegen Abgabenhinterziehung kommt. Ohne ein Sachverständigengutachten dürfe das Strafverfahren nicht eingestellt werden, fordert Stadler.
Die Staatsanwaltschaft hatte im Februar die Einstellung der Ermittlungen gegen Grasser beschlossen, weil Abgabenhinterziehung erst ab 75.000 Euro strafbar ist, die Homepage aber weniger als 50.000 Euro wert sei. Die Ratskammer am Wiener Straflandesgericht hat dieser Entscheidung aber vorerst nicht zugestimmt. Stadler geht davon aus, dass die anderen Volksanwälte der Missstandsfeststellung zustimmen. Eine Missstandsfeststellung ist eine Aufforderung an den zuständigen Minister, den Verwaltungsmissstand zu beheben. In diesem Fall würde sie sich also an Justizminister Dieter Böhmdorfer richten.
Stadler begründet sein Vorgehen damit, dass sich die Staatsanwaltschaft bei der Feststellung des Wertes der Homepage nicht auf ein Gutachten gestützt habe, sondern lediglich einen profil-Artikel zitiert habe. "Wenn die Staatsanwaltschaft sagt, wir sind nicht zuständig, weil wir das in der Zeitung gelesen haben, dann ist das ein Verwaltungsmissstand." (APA, red/DER STANDARD, Printausgabe, 26.5.2004)