Gert Walden

Selten sind so viele paradoxe Entwicklungen in der Regierungszeit eines Herrschers aufeinandergeprallt wie in der Ära des Habsburgerkaisers Karl V. (1500–1558). Die Kolonisation der außereuropäischen Welt, die Bildung der Nationalstaaten und der Anspruch auf die Omnipotenz des Heiligen Römischen Reiches, der Humanismus und die Inquisition ließen eine explosive Mischung entstehen, die alle gesellschaftlichen Schichten entweder zu Resignation oder Neuorientierung bewegten.

Belgien als Teil der damaligen Niederlande stand im Mittelpunkt dieser kontroversellen Tendenzen, weil hier die Habsburger eine ihrer wesentlichen politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen ausbauten, nachdem sie das Land aus dem burgundischen Erbe übernommen hatten. Die Thematik einer Zeitenwende steht auch im Mittelpunkt der internationalen Ausstellungen in Gent, die – sehr treffend – im Jahr 2000 zur 500. Wiederkehr Karls. V. organisiert werden.

Die Herrschaft des Habsburgers hat aber nicht nur in seinem Geburtsort Gent Spuren hinterlassen. Mechelen, Brüssel und Antwerpen sind Orte, wo sich heute noch Gebäude und Institutionen finden lassen, die für die Person Karls und die Veränderungen zu seiner Zeit wichtig waren.

In der kleinen Stadt Mechelen ist Karl V. bei seiner Tante Margarete von Österreich aufgewachsen. Ihr Palast, einer der besonders frühen Renaissancebauten (1507) außer_halb Italiens, erinnert an die einstmalige politische Bedeutung der Stadt, bevor Brüssel zur Hauptstadt des Landes wurde. An die Glanzzeiten der flandrischen Teppichwebkunst im 16. Jh., die bis in den Vatikan Verbreitung fand, knüpft die Königliche Manufaktur De Wit an, wo alte Teppiche restauriert und neue gewoben werden.

Beginn im Untergrund

Die eigentliche Regierungszeit Karls V. begann im heutigen Brüsseler Untergrund. Die Ruinen des Palastes der Her_zöge von Brabant unter der Place Royale hat man erst in jüngster Zeit freigelegt, hier war Karl im Jahre 1515 gekrönt worden. Und in der Aula Magna endete auch seine Herrschaft, als er 1555 abdankte.

In die späte Regierungszeit des Habsburgers fällt der Aufstieg des Druckers Christoph Plantin, den man ohne Übertreibung als einen Bill Gates des 16. Jh. bezeichnen kann. Druckereien waren damals mehr als nur Produktionsstätten von Büchern.

Das Haus Platin in Antwerpen, dessen Bibliothek, Wohnräume und Setzerei auf einmalige Weise erhalten sind, stellte ein wissenschaftliches Forschungszentrum von weltweiter Bedeutung dar. Zehntausende religiöse Werke fanden von hier aus Verbreitung in der gesamten spanisch beherrschten Welt. Im Haus Plantin wurden die Karten der großen Seefahrer gedruckt, und die Wissenschafter der nahen Universität Löwen trafen sich zum Diskurs.

Während in emsigen Hafenstadt Antwerpen neben dem Haus Plantin auch das Rathaus vom Entstehen der Renaissance nördlich der Alpen kündet, hatte Gent – der Geburtsort Karls V. – damals seine Blütezeit bereits hinter sich. In Gent, dessen spätgotische Kirchen und Wohnhäuser ein kunsthistorisch bedeutendes Ensemble bilden, konnte sich der Habsburgerkaiser mit seinen Machtansprüchen auf die Privilegien der reichen Bürger nicht wirklich durchsetzen. Die Ausstellungen um Person und Zeit des Habsburgerkaisers im Jahr 2000 werden daher erstmals die Kunst der Renaissance im Rahmen einer im wesentlichen mittelalterlich geprägten Stadt präsentieren. •

© DER STANDARD, Samstag/Sonntag, 21./22. Juni 1997