Schale "Neon" von Daniel Pirsc

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"Plaintable" von "gossindustrialdesign"

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Designmai-schuh "Ilmia"

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Im Mai wucherte in Berlin vor allem das Design. Einen Rundgang durch das Riesenprogramm des "designmai" unternahm Bert Rebhandl


Design braucht Raum mehr als Geld, deswegen beginnt Stil häufig beim Mietvertrag. In der Berliner Mulackstraße 12 steht ein Mehrfamilienhaus, in dem man sich um eine Wohnung bemühen sollte. Die Gestalter Abcarius & Burns haben unter dem Titel "Berlin Experiments" die typische Lebensform der lokalen Boheme zum Thema gemacht. Gearbeitet wird daheim, das Privatleben findet unmittelbar neben dem Beruf statt. Flexibilität wird nicht nur den Menschen, sondern auch den Räumen abverlangt.

Sie sollten jedenfalls groß genug sein für den "plaintable" von "gossindustrialdesign", einen Multifunktionstisch, der Frühstück und Büroarbeit gleichermaßen verträgt und durch minimale Umstellungen auch erlaubt. Die neue Subsistenz-Ökonomie entwickelt allmählich ihre Formenwelt - das ist die zentrale Message des diesjährigen Berliner Designmai. Der flexible Mensch findet eine entsprechende Umgebung. Das Unterscheidungsmerkmal der "young urban free professionals" in einem Ambiente multipler Funktionalität ist der Sinn für Ironie: Die osteuropäischen Gestalter, denen ein Schwerpunkt unter dem Titel EU+ galt, können da locker mithalten.

Der Tscheche Daniel Pirsc zitiert Coca-Cola in seiner Porzellanware, die wiederum gut in die Küche "piece" von "jomad" (zu sehen in der Designmai-Rubrik Youngsters) passen würde. "piece" ist "sowohl funktionale Skulptur als auch skulpturalisierte Funktion", so die Selbstbeschreibung. "piece" verwandelte sich während des Designmai täglich mehrmals: Bis in den Abend war es vornehmlich ein Designobjekt und eine Cateringstation, ab 23 Uhr gab es eine Kochshow des in Berlin einschlägig bekannten Gordon W., der ein Lokal namens 103 betreibt.

Die Übergänge zwischen Wohnzimmer, Lokal, Lounge und Klub sind fließend. Das Hipster-Produkt zum Frühling kommt aus Thüringen. Dort wird unter dem Namen "Ilmia" ein Turnschuh produziert, der als der bessere Puma gelten kann und nur in limitierten Editionen auf den Markt kommt. Das hat mit Ostalgie nichts zu tun, sondern ist die Zuspitzung der Sneaker-Politik - der Schönste ist auch der politisch Korrekteste und der Seltenste. Viele werden Teil dieser Jugendbewegung sein wollen und damit das "Auslaufmodell Deutschland" konterkarieren.

Der Designmai ist eine schwer zu überblickende Wucherung von Veranstaltungen in ganz Berlin, die nur durch eine elegante Corporate Identity und eine Website zusammengehalten wird. Das Programm ist für Angestellte nicht geeignet. Bei einer Party in Treptow nahm der gebuchte Star-DJ Justus Köhncke seine Arbeit um sechs Uhr morgens auf. Das ist die Tageszeit, in der viele Vertreter der neuen Ökonomie erst kreativ werden. Am Ende der Nacht brauchen sie dann nur einen Laptop, um sich auf einen temporären Arbeitsplatz einzuloggen. Das "odo" (on demand office), das die Architekten "weber + würschinger" für den Einrichtungsspezialisten "vitrapoint" entwickelt haben, ist Büro, Bibliothek, Lounge und Hotel in einem und wendet sich an Freiberufler, die kein ständiges Büro brauchen.

Kern des "odo" ist die "bürothek", ein Hybrid aus Büro und Bibliothek, in dem die Schreibtische online gebucht werden - je nach Auftrags- oder Ideenlage. Zum Meeting geht es in die "bürolounge", ein Treffpunkt mit Elementen aus der Klubwelt. Das "bürhotel" schließlich ist ein Einzelbüro samt Bett und Bad, das vielleicht eines Tages einen neuen Bartleby hervorbringen wird: "Ich will lieber nicht ausziehen", wird er sagen, und seine temporäre Existenz in Permanenz überführen. Dann ist er selbst ein Objekt. (DER STANDARD/rondo/28/05/2004)