Wolf D. Prix: "Es gibt eine österreichische Architekturtradition jenseits des Einzelkämpfertums."
Foto: Aleksandra Pawloff

Foto: Aleksandra Pawloff

Über die Lust, den Raum zu zelebrieren: Anhand von 7+2 Beispielen vermittelt eine Ausstellung in Mürzzuschlag anschaulich, worin das oftmals in Abrede gestellte spezifisch Gemeinsame, Unverwechselbare österreichischer Architektur bestehen könnte.

 

 

Im Kunsthaus Mürzzuschlag wird heute die Ausstellung "Rock over Baroque" eröffnet. Neun junge Architekten und Architektinnen zeigen anhand eines Projektes, dass bei aller Verschiedenartigkeit doch eine unverwechselbare Qualität in der österreichischen Architektur zu entdecken ist: die Architektur der Raumsequenz.

Obwohl auch in der Architektur global gedacht werden muss, wird es immer wichtiger, die unverwechselbare Eigenart einer authentischen Architektursprache, die sich nur im Zusammenhang mit einem kulturellen Hintergrund definieren lässt, zu entwickeln. Wir könnten den Versuch starten, die Architekten der Welt, die momentan die Architekturdiskussion bestimmen, über ihre kulturellen Wurzeln zu beschreiben. Wir könnten die Holländer und Schweizer Calvinisten nennen, ein Rietveld in Wien ist genauso undenkbar wie ein Kiesler in Rotterdam. (Die Diagramme der holländischen Architekten sind bar jeder Emotion und nur erfolgsorientiert - was für ein Unterschied zu den emotionalen Qualitäten österreichischer Architekturentwürfe!). Wir könnten Frank Gehry, Eric Moss und Daniel Libeskind Kabbalisten nennen und ihre Architekturen als buchstaben- und wortgewaltig beschreiben. Und Zaha Hadids Entwürfe sind räumliche Zeichen arabischer Kalligrafie.

Auf der Suche nach der Einzigartigkeit österreichischer Baukunst, die sich beschreibbar in der Weltszene der Architektur behaupten könnte, stößt man immer wieder auf den fehlenden theoretischen Unterbau, der es erlauben würde, die zweifellos vorhandenen Qualitäten der Architekten so zu interpretieren und zu stilisieren, dass als Profil, von außen ablesbar - und wenn es sein muss, auch von innen (wobei der Blick über den Tellerrand geschärft werden müsste) - scharfkantig erscheint, was den österreichischen Architekten in der Weltszene unterscheidbar machen könnte: nämlich der Wille zur Neudefinition des gebauten Raumes.

Das Fehlen einer unterstützenden Theorie öffnet zwar den Weg individueller Möglichkeiten, aber die von innen so gepriesene Vielfalt - vielleicht sonst ein Zeichen von Stärke - ist dann letztlich nur die Summe von zusammenhanglosem Einzelkämpfertum und öffnet nur ganz wenigen österreichischen Architekten die Türe zur internationalen Anerkennung.

Während in anderen Ländern junge Architekten lernen, im Windschatten der großen Namen ihres Landes herzufahren, wird bei uns in Österreich Vatermord praktiziert. Allerdings ist dieser Vatermord nicht ein Akt der Befreiung, sondern nur renitenter Trotz gegenüber Tradition und mündet in die Vereinnahmung in die anti-intellektuelle Haltung Österreichs. Wodurch die diskursive Auseinandersetzung mit innovativen Architekturqualitäten, die Neues wagen, verhindert wird.

 

Singuläre Sprache

Wenn man aber von der Lust an der Raumgestalt der Bauwerke des Barocks ausgeht - was für ein Wahnsinn, tonnenschwere Kuppeln zu bauen, um sie dann mit Himmelsmalereien zum Entschwinden zu bringen! - dann wird sichtbar, dass die Gestalt des komplexen Raumes und nicht die simplifizierte Box eine besondere Fähigkeit der österreichischen Architekten darstellt. Von Fischer von Erlach über Schindler und Kiesler bis zu Hollein, Pichler, Abraham, Domenig und COOP HIMMELB(L)AU sind die Häuser dieser Architekten gebaute Beweise für die Existenz einer Formensprache, die die österreichische Architektur unverwechselbar in der Weltszene platziert.

Bewusst oder unbewusst folgen junge Architekten in ihrem Sinne zeitrichtig den barocken Spuren der Raumsequenzen - und verändern sie. 7+2 Beispiele zeigen, dass es doch eine österreichische - wenn man so will - Tradition gibt, die über das disperse Einzelkämpfertum hinausgeht: nämlich die gemeinsame Lust, den Raum zu zelebrieren.(DER STANDARD, Printausgabe vom 29./30./31.5.2004)

 

 

Wolf D. Prix,
zusammen mit Helmut Swiczinsky "Coop Himmelb(l)au", leitet eine Meisterklasse für Architektur an der Universität für angewandte Kunst