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Foto: APA/ Körner
Superschlank ist in, dick ist out - doch im echten Leben kämpfen immer mehr Menschen mit zu vielen Kilos. Experten sprechen von einer drohenden Fettsuchtpandemie - verweisen aber auch auf steigende Magersuchtzahlen.

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Vor ihrem Hungertod, der derzeit Gegenstand behördlicher Ermittlungen ist, wog die 17-jährige Oberösterreicherin Martina gerade noch 38 Kilo. 38 Kilo, genau so viel, wie ein dreijähriges Kind in East London (GB) auf die Waage brachte, kurz bevor es diese Woche im Spital an Verfettung starb.

Kinder die an ihrem eigene Fett ersticken

Sie habe schon Kinder gesehen, die "an ihrem eigenen Fett erstickt" seien, sagte die behandelnde Chefärztin Sheila McKenzie. Einzelfälle gewiss, und dennoch Alarmzeichen eines bedenklichen Trends: In den industrialisierten Staaten - sowie unter den Reichen in den armen Ländern - weichen immer mehr Menschen von einem gesundheitserhaltenden Körpergewicht ab.

Die Hälte aller männlichen Österreicher sind übergewichtig

Nach unten hin: Acht Prozent aller erwachsenen Frauen und vier Prozent aller über 18-jährigen Männer in Österreich gelten als untergewichtig - aber vor allem nach oben: Fast die Hälfte aller männlichen und rund ein Drittel aller weiblichen Österreicher galten im Jahr 2003 als übergewichtig, zwölf Prozent aller Männer und 17 Prozent aller Frauen sind von Fettsucht betroffen (siehe Wissen).

USA: "Dick" ist weiter Trend

In den USA, wo der Trend zum Dicksein schon länger anhält, ist das Problem noch viel akuter. Mittlerweile zählen dort rund ein Drittel aller Erwachsenen zu den Fettsüchtigen. Die Zahl, so Experten, wird weiter zunehmen - hier und in der gesamten wohlhabenden Welt. "In den kommenden Jahrzehnten werden Übergewicht und damit verbundene Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall zum Gesundheitsproblem Nummer eins", betont Ibrahim Elmadfa vom Wiener Institut für Ernährungswissenschaften.

Gründe: Arbeit an Maschinen

Die Gründe für diesen Kiloboom, der laut Weltgesundheitsorganisation WHO für derzeit 60 Prozent der weltweit 56 Millionen vermeidbaren Todesfälle pro Jahr verantwortlich ist, macht Elmadfa in tief greifenden Veränderungen des Arbeits- und Lebensstils fest. Mehr denn je - und, wie es aussieht, in weiter zunehmendem Maße - würden die Menschen zu "reinen Bedienern von Maschinen".

Dies seien sie praktisch nur "im Sitzen" - sei es vor dem PC daheim, hinter dem Lenkrad auf dem Weg zur Arbeit oder dann im Job selbst. Die Mahlzeiten hingegen seien immer noch für körperlich Aktivere bemessen, sodass zu viel Energie zu- und zu wenig abgeführt werde.

Symptome, Ursachen

"Wir können und müssen jetzt", so Elmadfa, "an den Symptomen herumdoktern und die Menschen dazu bringen, weniger zu essen und sich mehr zu bewegen." Das Fettsuchtproblem sei aber auch ein "dringender Auftrag an Politiker und Ökonomen", "über gangbare Alternativen zu unserem derzeitigen Lebensstil nachzudenken".

Auch die Lebensmittelindustrie kann hier mithelfen. Große Firmen wie Nestlé, aber auch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) betreiben derzeit Programme zur Verkleinerung der Essportionen. Doch um von den appetitanregenden Doppelcheeseburgern, Popcornkübeln und Halbliterbechern wegzukommen - und dennoch keine Umsatzeinbußen zu erleiden - braucht es viele kleine Schritte.

Nahrungsmittel als Trost

Zudem ist das Problem auch ein tiefenpsychologisches, wie die Wiener Psychotherapeutin Rahel Jahoda erläutert: Esssüchtige, so führt sie aus, bräuchten Nahrungsmittel als Trost, um sich ruhig zu stellen. Esssüchtige Mädchen etwa seien in ihrer Kindheit oft emotional vernachlässigt worden oder hätten früh Verantwortung für die Mutter übernehmen müssen.

Auch die Barbie-Puppe war früher rundlicher

Die Ursachen für Essstörungen insgesamt sieht die Mitarbeiterin des Instituts Sowhat in dem großen Druck, der durch das medial allgegenwärtige superschlanke Schönheitsideal auf Frauen und Mädchen - und zunehmend auch auf die Männer - ausgeübt werde. Untersuchungen etwa hätten ergeben, dass die Modepuppe Barbie und das aus der Werbung bekannte Michelin-Männchen früher um einiges "rundlicher" gewesen seien als heute.

TV auf Fidschi-Inseln hat bulimisches Verhalten angehoben

Auf den Fidschi-Inseln, so Jahoda, sei vor der Einführung des Fernsehens im Jahr 1995 das Wort Diät für die Mädchen ein Fremdwort gewesen. Drei Jahr später hätten bereits 15 Prozent der heranwachsenden jungen Frauen ein bulimisches Verhalten gezeigt. Deshalb misstraut die Pychotherapeutin auch dem jüngst ausgerufenen Trend zu etwas mehr Kurven. Wenn man bedenke, wie schnell die Moden in der Mediengesellschaft wechseln, sei es nur ein Frage der Zeit, wann wieder die nächste Magerwelle komme. (Irene Brickner, Bettina Fernsebner-Kokert DER STANDARD Printausgabe 29/30.5.2004)