Wolfgang Schüssel wird EU-Kommissionspräsident, wenn er am Ende eines wüsten Schacherprozesses unter den entscheidenden Akteuren als Kompromiss übrig bleibt. Die Chance dafür besteht, aber sie ist ziemlich klein, weil Schüssel mit ein paar absoluten Vetos rechnen muss, die sich auch nach einem ermüdenden Abtausch-Marathon nicht auflösen werden.

Nicht nur die Franzosen sind (wegen Haider) gegen ihn, auch andere europäische Spitzenpolitiker sind es. Sein stärkster Unterstützer ist der deutsche EU-Parlamentarier Gerd Pöttering (Vorsitzender der EVP-Fraktion), und zwar aus politischer Affinität. Pöttering hat sich ziemlich verbogen, um rechte, EU-skeptische Parteien in der EVP-Fraktion zu behalten. Er glaubt, der Haider-Eingrenzer Schüssel könnte dieses Werk fortsetzen.

Fischler hat noch kleinere Chancen

Schüssels Chance ist klein. Noch kleiner, aber ebenso vorhanden, ist die Möglichkeit, dass Landwirtschaftskommissar Franz Fischler den Sprung zur Kommissionsspitze schafft.

Beim kommenden Ämter-Ringelreia in der EU geht es um fünf Spitzenpositionen: Den Kommissionspräsidenten, den Parlamentspräsidenten - und drei weitere Positionen, die erst geschaffen werden müssen: die des Ratspräsidenten (aus dem Kreis des Rats der Staats-und Parteichefs), des Außenministers und des "EU-Wirtschaftszampanos" in Form eines aufgewerteten Vizepräsidenten der Kommission. Diese Positionen müssen in einem gewaltigen Verhandlungsprozess zwischen den Großen und den Kleinen, den Linken und den Rechten, vielleicht auch zwischen den Alten und den Neuen in der EU besetzt werden (wobei der Ratspräsident, der eigentlich an die neue Verfassung gebunden ist, eventuell noch nicht zur Debatte steht).

Ehemaliger Regierungschef

Was den Kommissionspräsidenten betrifft, so galt bisher: Er soll ein ehemaliger Regierungschef sein. Das gilt in der aktuellen Debatte nicht mehr ganz so, wenngleich die jüngsten Spekulationen sich wieder auf den belgischen Premier Verhofstadt, einen Liberalen (und Befürworter der Sanktionen gegen Österreich) konzentrieren. Aber es gibt auch die Variante: Nehmen wir einen Fachmann, der die Kommission kennt, die EU-Institutionen überhaupt kennt und mit der mächtigen Bürokratie umgehen kann. Natürlich muss er politisch denken und (ver)handeln können, muss auch Visionen haben, über das bloße Expertentum hinaus und er muss über gesundes Selbstbewusstsein, aber auch über genügend Flexibilität verfügen, um mit den eifersüchtig auf ihren Einfluss bedachten Regierungschefs umgehen zu können.

Aber im Gespräch

Das alles trifft auf Franz Fischler zu, der in Brüssel und sonst praktisch überall (mit der kleinen Ausnahme Österreich) hohen Respekt genießt. Er ist auch im Gespräch, wenn auch nicht sehr intensiv.

Die "Financial Times", führend in der EU-Berichterstattung, hat übrigens vorgeschlagen, nicht mehr einen Premierminister, sondern einen aus der Reihe der jetzigen Kommissare zu wählen. Die Zeitung schlägt auch gleich drei derzeitige Kommissare vor: Chris Patten, Außenkommissar, den Portugiesen Antonio Vitorino (Justiz und Inneres) und Günter Verheugen, bisher zuständig für Erweiterung.

Franz Fischler, der in der europäischen Presse, auch bei der FT , ein exzellentes standing hat, wird nicht genannt. Aber das bedeutet nicht, dass er nicht geeignet wäre, jedenfalls so geeignet wie die drei genannten Kommissare. Er ist als ein wirklicher Reformer ausgewiesen und in seinem Politikstil vereint er Internationalität mit bodenständiger Tiroler Gewitztheit. (DER STANDARD, Printausgabe 1.6.2004)