Lübeck/Wien - Stammzellen von einem 74-jährigen Mann, die sich nicht nur gut lagern lassen, sondern aus denen man auch eine ganze Reihe von neuen Geweben züchten kann? Ein auch im hohen Alter anzapfbarer Jungbrunnen? Überhaupt kein Problem, sagen deutsche Wissenschafter, die nun entsprechende Studienergebnisse präsentierten.

Charli Kruse von der Universität Lübeck ist es mit Forschern des Berliner Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik gelungen, aus dem Drüsengewebe, vornehmlich aus der Bauchspeicheldrüse, des Menschen und der Ratte Zellen zu gewinnen, "die in hohem Maße die Merkmale adulter pluripotenter Stammzellen" aufwiesen. Das Besondere dabei sei laut den Forschern, dass sich "aus diesen Zellen erstmals sehr stabile und ergiebige Stammzellkulturen herstellen lassen, die viele Eigenschaften embryonaler Stammzellen besitzen".

Stammzellen entwickeln sich in allen Gewebetypen

Embryonale Stammzellen sind zwar wissenschaftlich interessant, weil sie sich in alle rund 200 verschiedenen menschlichen Gewebetypen entwickeln können und somit ein gewaltiges Therapiepotenzial aufweisen. Ethisch aber sind sie weltweit umstritten, weil zu ihrer Gewinnung Embryonen zerstört werden müssen. Die Alternative - adulte, also aus dem Organismus erwachsener Tiere und Menschen gewonnene Stammzellen - zeigte bisher etliche Nachteile: Die meist aus Knochenmark, Leber, Gehirn und Blut (etwa aus der Nabelschnur) isolierten Zellen waren im Gegensatz zu den embryonalen nur begrenzt lagerfähig und konnten sich in lediglich ganz wenige verschiedene Gewebe differenzieren.

Die nun in Lübeck isolierten Bauchspeichelstammzellen hingegen vermehrten sich nach Angaben der Wissenschafter hervorragend, ließen sich gut kryokonservieren - lagern bei minus 196 Grad Celsius, der Temperatur von flüssigem Stickstoff - und seien enorm differenzierungsfreudig: Markermoleküle wiesen darauf hin, dass sie sich in Gewebetypen wie Nerven, Muskeln, Knorpel, Leber und sogar Insulin produzierende Zellen entwickeln. Von einer Organentwicklung könne man zwar noch nicht sprechen, doch böten die Zellen Chancen für gezielt auf Patienten zugeschnittene Zelltherapien.

Erstaunlich sei, dass diese Zellen auch von einem 74-Jährigen stammen: Dies zeige, dass der Körper sogar im fortgeschrittenen Alter noch einen Zellbestand habe, der die Erneuerung von verbrauchtem Gewebe garantiere. (fei/DER STANDARD, Printausgabe, 2.6.2004)