Berlin/Istanbul - Weit über ein Drittel aller Frauen in der Türkei sind nach Angaben der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) Opfer familiärer Gewalt. Frauen würden zwangsverheiratet, misshandelt, vergewaltigt und ermordet, heißt es in einem Bericht der Organisation, der am Mittwoch in Istanbul vorgestellt wurde. Noch immer gelte Gewalt in der Familie als "Privatsache", die Täter könnten mit geringen Strafen rechnen, kritisierte amnesty. Es fehle an angemessenen staatlichen Schutzmaßnahmen. Die türkische Regierung will die Gewalt gegen Frauen mit einer anstehenden Strafrechtsreform bekämpfen.
Die Sache mit der "Familien-Ehre"
Gewalt gegen ein "unanständiges" weibliches Familienmitglied gelte vielerorts noch immer als Ehrensache und werde gesellschaftlich toleriert, heißt es in dem ai-Bericht weiter. Auch wenn erste gesetzliche Änderungen auf den Weg gebracht worden seien, zeige die praktische Umsetzung noch große Mängel. Laut amnesty gehen Behörden Anzeigen von Frauen nur ungenügend nach. Werde eine Frau akut bedroht, könne sie in den seltensten Fällen mit polizeilichem Schutz rechnen. Zufluchtsorte wie Frauenhäuser werden demnach bisher nicht staatlich unterstützt. Auch gebe es keine staatlichen Beratungsstellen. Wenn es überhaupt zu einer Anklage komme, würden die Täter häufig zu milden Strafen verurteilt.
Doppelte Bestrafung der Frau
Es sei ein Skandal, dass ein Vergewaltiger mit einem geringeren oder keinem Strafmaß davonkomme, wenn er sich bereit erkläre, sein Opfer zu heiraten, sagte Amke Dietert, Türkei-Expertin von amnesty international. Die betroffene Frau dagegen werde doppelt bestraft und sei ihrem Peiniger im schlimmsten Fall lebenslang ausgeliefert.
Neues Strafrecht geplant