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Johannes Voggenhuber: "Die Regierung kann nicht fünf Jahre lang hinter den Kulissen das einen tun und daheim das andere sagen - und dafür unbehelligt bleiben."

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Grünen-Spitzenkandidat Johannes Voggenhuber verweigert sich den Themen, die den EU-Wahlkampf in Österreich beherrschen - im Gespräch mit Conrad Seidl beschwört er die europäische Verfassung, die das Parlament gegen die Regierungen stärken sollte.

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STANDARD: Die wesentlichsten Themen des Wahlkampfs scheinen ein vier Jahre alter Brief des Abgeordneten Swoboda, ähnlich alte Spesenabrechnungen anderer Abgeordneter und die Stärke der österreichischen Stimme in Europa zu sein - kann man da als Grüner überhaupt mitreden?

Voggenhuber: Nein, das kann man nicht, will man nicht, soll man nicht, tut man nicht.

Mich macht es sehr betroffen, dass dieser Wahlkampf aus der bloßen Schaumschlägerei mit nationalistischen Gefühlen besteht - und zwar mit dem Ziel, den wirklich entscheidenden Zukunftsfragen der EU auszuweichen.

Einen Tag nach der Wahl, ganz bewusst bevor das neue Parlament zusammentritt, findet die Regierungskonferenz zur Verfassung statt - um zu schauen, welche Machtvollkommenheiten sich die Regierungen doch noch sichern können.

STANDARD: Nun scheint der Wahlkampf der Grünen aber ebenfalls ein Wahlkampf gegen diese Bundesregierung zu sein?

Voggenhuber: Sollte dieser Eindruck entstehen, dann nur durch unsere erste Plakatserie. Es geht nicht darum, einen innenpolitischen Wahlkampf zu führen, wo Instinkte, dunkle Gefühle und abgestandene Sanktionsdebatten aufgerührt werden - eine andere Sache ist es, die europolitische Verantwortung der Regierung einzumahnen. Die Regierung kann nicht fünf Jahre lang hinter den Kulissen das eine tun und daheim das andere sagen - und dafür unbehelligt bleiben.

Es geht ja nicht nur um Transit, sondern auch um eine systematische Doppelpolitik zur Nato. Oder die Atomfrage: Da wird im Land ein nationaler Konsens beschworen - aber nicht nur die Regierung, sondern auch die ÖVP-Fraktion stimmt gegen die Herauslösung des Euratom-Vertrages aus der Verfassung. In Brüssel hat man sich mit allen Verfassungsgegnern, die nur zu finden waren, verbündet.

STANDARD: Was wäre denn notwendig, damit österreichische Interessen gehört werden?

Voggenhuber: Da bedarf es eines Haltungswechsels: Wenn man nicht bereit ist, sich in die nationalen Interessen anderer hineinzudenken, dann wird man einen leeren Tisch vorfinden, wenn man selber Probleme gelöst haben will.

Wer sich nicht um den Tankerunfall vor der spanischen Küste, um den Olivenstreit zwischen Italien und Griechenland, um Probleme der Bauern in Lappland annimmt und annehmen will, der findet auch keine Partner, wenn er mit seinen Problemen kommt.

Das war ja die Crux mit dem Transitvertrag: Die Minister, die "die wilden Männer von Wien" gespielt haben, haben kein Verständnis gefunden - weil sie keine Zeit und kein Verständnis für die Probleme anderer haben. Weil nämlich die Vertreter der schwarz-blauen Koalition in den Köpfen noch gar nicht beigetreten sind.

STANDARD: Vor zehn Jahren hat das bei Ihnen ganz anders geklungen - da haben Sie doch noch gemeint, dass Österreich sich nicht die Probleme Europas aufladen sollte, weil es in allen Belangen von A wie Arbeitslosigkeit bis W wie Wirtschaftswachstum besser als die EU gelegen ist?

Voggenhuber: Es ist interessant, wenn man mir vorwirft, vom Saulus zum Paulus geworden zu sein - da möchte ich darauf hinweisen, dass es bei der ÖVP offenbar umgekehrt ist, ein Bekehrungsereignis rückwärts. Vor zehn Jahren ging es um eine Frage: die Union von außen verändern oder von innen?

Die Wählerschaft hat mit 66 Prozent entschieden - "von innen" - und ich habe diesen Auftrag angenommen. Wir haben schon damals das "Regierungseuropa" kritisiert. Ich habe mich daraufhin an dem großen Ringen um eine Verfassung beteiligt. Wenn dort heute als erster Satz steht "Geleitet vom Willen der Bürger", dann ist das ein Begriff, den ich dort hineingebracht habe.

STANDARD: Beim Verfassungsentwurf hat man ja den Eindruck, dass Sie persönlich für sich eine Vorreiterrolle beanspruchen.

Voggenhuber: Ich habe Erfahrungen gemacht, auf die ich nicht gefasst war. Zum Beispiel: Welch ungeheuren Einfluss ein kleines Land haben kann, wenn es will - welch großen Einfluss ein einzelner Abgeordneter haben kann, wenn er ein entsprechendes Standing hat.

STANDARD: Aber sind die Bürger, die Wähler vom 13. Juni, so weit? Es wird ja kein Zufall sein, dass alle Parteien die Wähler eher mit innenpolitischen als mit europäischen Themen ansprechen wollen.

Voggenhuber: Die Bürgerinnen und Bürger werden von der nationalen Politik systematisch Europa entfremdet. Sie werden im Unklaren gehalten über Verantwortlichkeiten und die wahren politischen Positionen. Die Regierungen berauben die Bürger ihres zentralen demokratischen Rechts: Wenn ich nicht weiß, was die Minister hinter verschlossenen Türen im Europäischen Rat an Gesetzen beschließen, entsteht eine Twilight-Zone der Macht.

Die Regierungen haben eine Machtstellung erlangt, wie sie seit der französischen Revolution nicht mehr denkbar war - daher wollen sie das Parlament auch kurz halten. Die Entwicklung einer sozialen Dimension in Europa hängt unmittelbar mit dem Ausgang des Ringens zwischen Europäischem Rat und Parlament zusammen. Sonst wird das von Blair, Schröder und Berlusconi hinter verschlossenen Türen abgehandelt.

STANDARD: Auf den Punkt gebracht: Sie führen Ihren Wahlkampf nicht gegen die Bundesregierung, sondern gegen alle Regierungen in Europa?

Voggenhuber: Ja, wenn man so will - mit dem Zusatz, dass unsere Regierung im reaktionärsten Eck steht. Nur wenn wir die Macht der Regierungen brechen, gibt es eine Aussicht, dass soziale Bewegungen, die Zivilgesellschaft, die Parlamente Einfluss auf den Gang der Dinge bekommen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.6.2004)