Brüssel - Bei der Kür des neuen Präsidenten der EU-Kommission ist nach Einschätzung des irischen Ministerpräsidenten und amtierenden EU-Ratsvorsitzenden Bertie Ahern nicht zwingend Einstimmigkeit erforderlich. "Der Europäische Rat wird mit der Prozedur entscheiden, die vorgesehen ist", sagte Ahern am Donnerstag nach einem Treffen mit seinem belgischen Amtskollegen Guy Verhofstadt in Brüssel auf entsprechende Journalistenfragen. Dies bedeute, dass auch eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit möglich sei. Zuversichtlich äußerten sich Ahern und Verhofstadt zu den Einigungschancen in Bezug auf die EU-Verfassung.

Bisher wurden die Kommissionspräsidenten immer durch einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs nominiert, dies wurde jedoch im EU-Vertrag von Nizza geändert. Die Staats- und Regierungschefs entscheiden bei ihren Tagungen praktisch immer im Konsens und bisher galt es als ausgeschlossen, dass die Mehrheitsregel ausgerechnet bei der äußerst bedeutsamen Nominierung des Kommissionspräsidenten angewandt wird.

Eisernes Schweigen zu möglichen Prodi-Nachfolgern

Ahern schwieg bei gemeinsamen Pressekonferenz mit Verhofstadt eisern auf Fragen zum Namen des möglichen Nachfolger von Kommissionspräsident Romano Prodi, der bei EU-Gipfel am 17. und 18. Juni nominiert werden soll. Er bewahre diesbezüglich absolutes Stillschweigen mit seinen 24 Amtskollegen. Zu Medienspekulationen über den künftigen Kommissionspräsidenten sagte er: "Niemand kann das wissen, außer ich." Es seien aber alle Namen, die in diesem Zusammenhang genannt werden, "wunderbar". "Dem stimme ich zu", ergänzte Verhofstadt. Er gilt als einer der aussichtsreichsten Kandidaten bei der Entscheidung über die Prodi-Nachfolge.

Der angespannt wirkende belgische Ministerpräsident antwortete erst nach einer Schrecksekunde, als er von einem belgischen Journalisten gefragt wurde, ob ihn eine drohende Niederlage bei den Europa- und belgischen Regionalwahlen am 13. Juni besser geeignet für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten machen würde. "Ich suche keinen Job. Ich habe einen sehr interessanten Job als Ministerpräsident und möchte auch nach dem 13. Juni mit den Reformen in Belgien fortfahren. Das habe ich schon 32 Mal gesagt", sagte Verhofstadt mit Blick auf frühere Dementis seiner angeblichen EU-Ambitionen.

Spekulationen über möglichen Sondergipfel zurückgewiesen

Spekulationen über einen möglichen Sondergipfel im Juli, bei dem der Kommissionspräsident nominiert werden soll, wies Ahern zurück. Ziel sei es, beim Juni-Gipfel zu einer Einigung zu kommen. Verhofstadt und Ahern wollten nicht ausschließen, dass sie die Nachfolge Prodis antreten. "Ich gebe ihnen in der Nacht auf den 18. Juni die Antwort darauf", sagte Ahern auf die Frage, ob er auf Drängen der EU-Staats- und Regierungschefs zur Kandidatur bereit wäre. "Da stimme ich zu", ergänzte Verhofstadt.

Die beiden Politiker zeigten sich zuversichtlich, was die beim Gipfel ebenfalls auf dem Programm stehende Einigung auf die EU-Verfassung betrifft. Ahern sagte, die Chancen dafür stünden "50:50". Heikle Fragen seien die künftige Zusammensetzung der Kommission, die Einführung des Abstimmungssystems der "doppelten Mehrheit" im EU-Ministerrat sowie die Ausdehnung von Mehrheitsentscheidungen auf weitere Politikbereiche. Verhofstadt sagte, Belgien werde mit Blick auf das Abstimmungssystem im Ministerrat "sehr konstruktiv bei der Suche nach einem Kompromiss" sein. Er sei "zuversichtlich", dass es zu einer Einigung kommen werde.

Ahern schließt am Freitag mit einem Besuch beim deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Besuchsreise zu den 24 anderen Teilnehmern des EU-Gipfels ab. Am Donnerstag hatte er bereits seinem britischen Amtskollegen Tony Blair in London sowie dem niederländischen Ministerpräsidenten Jan-Peter Balkenende in Den Haag die Aufwartung gemacht. (APA)