Wien - "Ich war mehr oder weniger in Bedrängnis. Mir ist nichts anderes übrig geblieben. Es war der letzte Ausweg": Mit diesen Worten verantwortete sich im Wiener Landesgericht jener Polizist, der am 31. August 2002 einen Mann in der Wiener Innenstadt erschossen hatte.

Verhandlung vertagt

Die Verhandlung wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen wurde zur neuerlichen Ladung eines Sachverständigen für Schieß- und Einsatztechnik auf unbestimmte Zeit vertagt.

Erfolgloser Überfall

Der 28-jährige Binali I. versuchte ohne Erfolg die Betreiberin eines Modegeschäfts zu überfallen und einer Passantin die Handtasche zu entreißen.Beide Frauen schilderten ihn als sehr verwirrt. Die Geschäftsfrau verständigte die Polizei. Der Mann hatte nach Darstellung seiner Angehörigen unter zeitweisen schizophrenen Schüben und Realitätsverlust gelitten.

Gefahr durch Funk eingeschätzt

Auf den 32-jährigen Einsatzbeamten, machte der Mann hingegen einen "besonders aggressiven Eindruck", wie er vor Gericht angab. Das sei ihm schon am Weg zum Tatort klar gewesen: "Der Gefährlichkeit haben die Kollegen schon durch den Funkspruch Ausdruck verliehen. Da hat man schon erkennen können, dass es brisant ist."

Mit zwei Mineralwasserflaschen "bewaffnet"

Binali I. war mit zwei Mineralwasserflaschen "bewaffnet". Eine davon zertrümmerte er auf der Windschutzscheibe eines Funkstreifenwagens. Angesichts mehrerer Uniformierter habe der zu beamtshandelnde Mann "unartikulierte Dinge geschrien" und Würfe mit einer Glasflasche angedeutet. Danach wollte er sich von der Polizei entfernen. Der 32-jährige Beamte ging ihm nach, "weil er offensichtlich Anstalten gezeigt hat, sich der Anhaltung zu entziehen". Der Versuch, ihn mittels Pfefferspray außer Gefecht zu setzen, scheiterte: "Durch einen leichten Wind wurde der Sprühstrahl verblasen."

Ob der Mann denn einen "irren Blick" gehabt habe, wollte Richterin Sonja Höpler-Salat wissen. "Das könnte ich nicht sagen. Ich hab mich auf die Wurfhand konzentriert", erwiderte der Beamte. Die eine Flasche habe er ja noch immer bei sich gehabt.

Keine Schuhe

Immerhin räumte er ein, den Eindruck gehabt zu haben, der Verdächtige befinde sich in einem "psychischen Ausnahmezustand". Dass dieser überdies ohne Schuhe unterwegs war, was einige Augenzeugen als Indiz für seine Verwirrtheit auslegten, hatte für den Polizisten keine Bedeutung: "Es war Ende August in der Stadt. Da laufen mehrere Personen barfuß herum."

Binali I. rannte auf Polizisten zu

"Plötzlich ist er unter Verwendung eines Angriffsschreis auf mich losgestürmt", schilderte der Beamte weiter. Er habe seine Dienstpistole auf ihn gerichtet und "Bleib stehen!" gerufen: "Nachdem alles negiert wurde und der Täter in meinen Angriffsbereich eingedrungen ist, habe ich einen Deutschuss abgegeben." Dem folgte ein zweiter.

Ziel

Binali I. wurde im Bauch und in der rechten Schulter getroffen und starb noch am Tatort. "Er hat schlichtweg nichts falsch gemacht", sagte Verteidiger Werner Tomanek. Sein Mandant habe sich "völlig ausbildungskonform verhalten."

"Warum haben Sie nicht auf die Beine gezielt?", fragte die Richterin. "Weil mir das nicht möglich war. Es wird uns gelernt, in Notsituationen auf die Körpermitte zu zielen, weil es das Effektivste ist", antwortete der Polizist.

Schussabgabe "unverhältnismäßig"

Staatsanwältin Theresia Schuhmeister-Schmatral hielt daran fest, dass die Schussabgabe "unverhältnismäßig" war. Sie kündigte an, dem Gutachter beim nächsten Termin zu den Zeugenaussagen zu befragen, "ob für die Eigensicherung nicht andere Maßnahmen, insbesondere ein kooperatives Verhalten mit den anderen anwesenden Polizeiorganen geeigneter gewesen wäre." Zum Zeitpunkt der Schussabgabe waren neben dem Schützen drei weitere Polizisten an Ort und Stelle. (APA)