Wien – Ein Milchlieferant ist während und nach einer Lkw-Fahrt "psychotisch ausgerastet" (wie es die Beamten formulieren). Ein Polizist hat sich nicht anders zu helfen gewusst, als den 35- jährigen Rumänen zu erschießen. Notwehr? Notwehrüberschreitung? Fahrlässige Tötung? – In einem Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat wird versucht, mehr Klarheit in den Fall zu bringen. Ob es zu einer Anklage kommt, ist noch offen.

In der Biografie des unbescholtenen Nicolae J. fällt am ehesten dessen Unauffälligkeit auf, die im Kontrast zur Amokfahrt Anfang Jänner steht. Er hat dabei zwei Unfälle verursacht, ist gegen Einbahnen gerast und konnte erst am Wiener Josefsplatz gestoppt werden. Dort geriet der Polizeieinsatz außer Kontrolle.

"Irrer Blick"

Der Amoklenker sprach während der gesamten Amtshandlung kein Wort. Auf beiden Seiten des Lkw formierten sich Polizisten. Sie erinnern sich heute an den "irren Blick" des Mannes. Man sprühte Pfefferspray in die Fahrerkabine. – "Ein schwerer Fehler", meint der Anwalt der Witwe des Erschossenen: "Statt ihn mürbe zu machen, haben die Beamten die Situation weiter angeheizt." Auch dem Verhandlungsleiter wäre Klügeres eingefallen: "Hätte man nicht zum Beispiel die Reifen des Lkw platt schießen können?" Jedenfalls stieg J. aus – "unvermittelt", sagen die Polizisten – und drohte mit einem Küchenmesser. "Warum hatten die Wega-Beamten keine Schutzwesten an?", fragt der Senatsvorsitzende. "Wir konnten nicht damit rechnen, dass der Mann weiter so aggressiv sein wird", erwidert ein Polizist.

Sein Kollege ergriff vor dem Tobenden die Flucht. "Mit erhobenem Messer in der Rechten ist der ihm nach", erinnert sich der Polizist, der bald selbst der Gejagte war. "Ich hab' mich umgedreht und bin gelaufen." Da gab der Wega-Kollege den tödlichen Schuss ab. Die Verhandlung wird heute fortgesetzt. (Daniel Glattauer, Der Standard, Printausgabe, 08.06.2004)