Peter Kern interviewt Peter Zadek im Theater an der Wien.

Kern: "Sind Rainer Werner Fassbinders Liebesbriefe jemals bei dir angekommen?"

Zadek: "Liebesbriefe? Nein."

Foto: ORF
Der Filmemacher Peter Kern traf Peter Zadek nach seiner Wiener Festwochenpremiere von Ibsens "Peer Gynt" im Theater an der Wien.

Eine Transkription von Ausschnitten des Gesprächs, das am Montag auch bei Barbara Rett in "Treffpunkt Kultur" zu sehen war.


Zadek: Warst du in der Aufführung?

Kern: Also ich versteh' das "Buh" überhaupt nicht. Es erinnert mich ...

Zadek: ... aber ist doch schön, ich freu' mich doch immer wenn "Buhs" sind, es ist fast unmöglich herzustellen, dass Leute "Buh" machen. Ich weiß nicht, worüber die "Buh" gemacht haben ... das waren Freunde von mir, die mir einen Gefallen tun wollten. Früher war das doch regelmäßig – wenn ich ein Stück machte, gab es immer einen Chor von "Buhs", und das gehörte einfach zu einem Zadek-Abend. Aber heutzutage kannst du die Leute gar nicht mehr aufwecken. Das waren bestimmt Freunde von mir, ich hab' keine Ahnung wer, aber sicher.

Kern: Du hast dir Wien erobert. Du bist so geliebt in Wien, man möchte immer mehr von dir haben.

Zadek: Ich mache den Totentanz am Akademietheater mit Gert Voss und Hannelore Hoger und Simonischek. Und das ist ein Stück, das ich hier jahrelang immer machen wollte und dann immer im letzten Moment irgendwie Manschetten gekriegt habt, weil es ein so unangenehmes, widerliches Stück ist, ehrlich gesagt, und ein Bild von Ehe und Liebe zeigt, das so grässlich ist. Aber es ist so wahr und so toll, dass man es dann doch machen will, irgendwann – das ist irgendwie, wie wenn man als Geiger irgendwann die späte Kammermusik von Beethoven unbedingt machen muss.

Kern: Ja, aber wann – das war jetzt eine Periode von 20 Jahren Nachdenken –, warum gerade in diesem Moment?

Zadek: Warum, meinst du? Ja, das ist schwer zu sagen – weiß nicht. Vielleicht hab' ich den Abstand mittlerweile. Ich bin so glücklich verheiratet, dass mich das nicht mehr berührt – vielleicht kann das der Grund sein.

Kern: Hast du denn noch mal Sehnsucht – wie einst an deinem Anfang –, so Stücke in einer Woche rauszuhauen?

Zadek: Ja, enorm, natürlich. Ich hab' früher, als ich 25 war, in England, hab' ich in der englischen Provinz jede Woche ein Stück inszeniert. Und zwar nicht nur so kleine Boulevardstücke, sondern Hamlet und dann eben auch Agatha Christie und immer mit denselben zehn Schauspielern. Und das war normal damals in England – so waren die Provinztheater. Kann man sich schwer vorstellen, Wahnsinn.

Kern: Wie lange habt ihr "Peer Gynt" probiert?

Zadek: Fünf Monate. War noch nicht genug – ich hätte gerne noch fünf Monate probiert. (...)

Kern: Du behauptest, es gibt keine wirklich guten zeitgenössischen Autoren.

Zadek: Ach, das sage ich nicht – ich kann nur sagen, ich kenne keine. Das mag aber mit mir zu tun haben. Und die Tatsache, dass ich zum Beispiel Neil LaBute gefunden habe, um Bash zu machen, oder die Sarah Kane gekannt habe, um mit ihr arbeiten zu können, als ich das Stück von ihr gemacht habe, das hat mich natürlich sehr beeindruckt. Und so was finde ich in Deutschland oder in Österreich nicht.

Kern: Hast du nicht jetzt Gedichte von Harold Pinter übersetzt?

Zadek: Ah, die Gedichte. Ja, sicher – aber die gibt's schon längere Zeit als Buch.

Kern: Und aus der Begegnung mit dem Harold Pinter – entstehen da nicht möglicherweise neue Arbeiten?

Zadek: Das glaube ich nicht, nein. Ich glaube, der Harold will nicht mehr schreiben. Der schreibt keine Stücke mehr, so viel ich weiß. Ich habe den zu spät im Leben kennen gelernt. Schade. (...)

Kern: Sind Rainer Werner Fassbinders Liebesbriefe jemals bei dir angekommen?

Zadek: Liebesbriefe? Nein.

Kern: Die Küche von Fassbinder wurde zur Kirche, wenn er Szenen aus deiner "Othello"- Inszenierung vorgespielt hat.

Zadek: Ach nee, wusste ich nicht, hatte keine Ahnung. Ich meine, das war beidseitig. Ich habe ja seine ersten Filme schon gesehen, wo niemand ihn kannte. Ich fand ihn wunderbar. Ich muss dazu sagen: Privat hatte ich überhaupt nichts mit ihm zu tun. Jedes Mal, wenn wir uns trafen, hatten wir uns absolut nichts zu sagen. Wir saßen uns gegenüber und guckten freundlich, und unsere Teams saßen um uns rum und guckten auch freundlich – und nichts passierte. Aber in der Sekunde, wo wir für uns waren, haben wir immer aneinander Sachen gemessen. Ich wusste immer genau, was der Fassbinder gerade macht – und er wusste auch, glaube ich, genau, was ich mache. Und dann habe ich einmal eine Rolle gespielt bei ihm – und das war allerdings sehr aufregend.

Kern: Weil Fassbinder von dir so wenig Bühnenproben bekam – du warst damals Intendant in Bochum –, hat er sich einen Boxerhund angeschafft und hat ihn "Zadek" genannt. Dann ging es durch das Bochumer Schauspielhaus: "Zadek, du pisst schon wieder in die Ecke!", "Zadek, halt die Schnauze!" Und das Schauspielervolk hat sich darüber amüsiert.

Zadek: Fassbinder in Bochum war nicht so wahnsinnig lustig für mich. Weil es war meine erste Erfahrung als Intendant; und jemand wie Fassbinder als Gegenüber zu haben, das war das Komplizierteste, was du dir vorstellen kannst.

Kern: Fassbinder scheiterte am Theater und wählte den Film für seinen höchsten künstlerischen Ausdruck.

Zadek: Wenn ich jetzt meine Filme angucke, ich hatte zehn oder zwölf gemacht, finde ich eigentlich, die einzigen Filme, die wirklich gut waren, waren die großen Fernsehfilme. Aber die wirklichen Kinofilme habe ich nicht geschafft. Ich habe das einfach nicht gekonnt, und meine Fantasie ist dann nur die Bühne.

Kern: Peter, wohin geht das Theater?

Zadek: Das ist eine blöde Frage – entschuldige –, das weiß ich nicht. Im Moment ist es wenigstens in Deutschland in keinem besonders guten Zustand, aber nirgends – in England auch nicht; in Frankreich gibt's praktisch kein Theater; weiß nicht, kann man nicht sagen, das ist sehr schwer.

Da wird sicherlich jetzt irgendwas passieren. Aber ich gehöre ja irgendwie zu den älteren Herrschaften, die noch irgendeine Art von Theater machen, das mit Menschen zu tun hat. Und dann gibt es so einen Thalheimer und so etwas, und das ist so flottes, modernes Clip-Theater – und es ist aber keine Antwort auf irgendetwas. Ich glaube, Theater muss im Endeffekt nicht von Regisseuren gemacht werden, sondern von Autoren. Und bis es in Deutschland keine richtig tollen Theaterautoren gibt, wirklich tolle, dann wird es auch kein tolles Theater geben. Ich habe noch nicht viel Spannendes gesehen. Du?

Kern: Schlingensiefs "Bambiland" ist großes politisches Theater.

Zadek: Er macht dieselbe Art von Theater wie ich – mit Schlingensief identifiziere ich mich vollkommen, und er ist wunderbar. Aber das ist natürlich, das kann niemand imitieren – das ist nicht eine bestimmte Bewegung im Theater, das ist ein Unikum. Und es ist schön, was er macht. Der ist viel weniger verrückt als ich – ein ganz höflicher, bürgerlicher Mensch. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2004)