Der Verdacht kommt auf, dass sich etliche unserer Spitzenpolitiker für den Europa-Sonntag gar keine höhere Wahlbeteiligung wünschen. 100.000 weniger als im "Offen gesagt"-Schnitt haben Sonntagabend die Debatte der Spitzenkandidaten angesehen. Selbst die waren sich einig, dass der Wahlkampf nicht gut läuft. Just am Tag darauf legt Alfred Gusenbauer nach und erinnert sich, dass am Freitag im Nationalrat "Pogromstimmung" geherrscht habe. Womit sich der SPÖ-Chef in der Wahl seiner rhetorischen Mittel eindeutig vergriffen und noch mehr Leute vom Gang zum Wahllokal abgehalten hat.

Begonnen aber hat es wie meistens. Jörg Haider wirft ein Wort (diesmal: "Landesverräter") in den Ring, um die Reaktionen darauf in einen Trommelwirbel zu ziehen. Rücktritt, U-Ausschuss, Kommissionen geistern durchs politische Österreich. Er selbst ist wegen einer umstrittenen Ansage noch nie zurückgetreten. Und die ÖVP hat noch nie den Rücktritt eines Freiheitlichen wegen problematischer Äußerungen gefordert. Sie verlangt ihn von Broukal, obwohl Haiders Entschuldigungen jedes Mal weicher waren als die des SPÖ-Mandatars.

Was die Bewältigung der Nazizeit betrifft, haben sich SPÖ und ÖVP alles und nichts vorzuwerfen. Auf beiden Seiten stiegen "Ehemalige" in höchste Ämter auf. Und in beiden Parteien gab es genug Widerstandskämpfer, die nach dem Krieg für demokratischen Halt sorgten. Daher sollte sich die ÖVP hüten, den Konsens der Zweiten Republik durch Zugeständnisse an das wieder erstarkte deutschnationale Lager zu gefährden. Und die SPÖ sollte aufhören, auch über die Volkspartei den Schatten des Faschismus zu breiten. Gerade Gusenbauer, der einmal Bundeskanzler werden möchte, sollte sich im Zaum halten. Mehr Zurückhaltung, bitte: Jetzt. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2004)