Panne im AKW Temelin 2004

Grafik: STANDARD
Temelín wird zum finalen Wahlkampfthema: Grüne, FPÖ und SPÖ werfen Umweltminister Josef Pröll vor, die Öffentlichkeit zu spät über den neuerlichen Störfall im AKW Temelín informiert zu haben. Der warnte vor "Überreaktionen" - vergeblich.

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Nach dem jüngsten Störfall im tschechischen Atomkraftwerk Temelín haben sich FPÖ, SPÖ und Grüne am Dienstag auf Umweltminister Josef Pröll (ÖVP) eingeschossen. Sie werfen ihm vor, nicht rasch genug die Öffentlichkeit informiert zu haben.

Fast ein Tag sei vergangen, bis die Nachricht an die Öffentlichkeit gelangte, dass im Primärkreislauf des zweiten Blockes 3000 Liter Kühlwasser ausgetreten sind, ärgerte sich die Umweltsprecherin der Grünen, Eva Glawischnig.

Der freiheitliche EU-Spitzenkandidat Hans Kronberger kritisierte, dass die tschechische Behörde für atomare Sicherheit erst 24 Stunden nach dem Zwischenfall die österreichischen Behörden informiert hatte. Der Umweltminister wiederum habe weitere Stunden geschwiegen und sei erst "auf Anfrage" an die Öffentlichkeit gegangen. Diese Zeit würde ausreichen, dass eine radioaktive Wolke Wien erreicht hätte, so Kronberger.

Hannes Swoboda, SP-Spitzenkandidat für die EU-Wahl sprach von einer "blamablen Informationspolitik".

"Überreaktionen"

Umweltminister Pröll warnte am Dienstag vor "Überreaktionen". Die tschechischen Behörden verteidigte er: Diese hätten sich an die in den Melker Verträgen festgesetzte Informationsfrist gehalten und alles transparent verlaufen sei. Die Melker Verträge sehen eine Frist von 78 Stunden vor. Österreich wurde einen Tag nach dem Störfall informiert - wobei weder in Tschechien noch in Österreich eine Gefahr bestanden habe (INES - Stufe eins). Pröll will sich aber künftig für eine schnellere Berichterstattung einsetzen. Das Aufkommen einer erneuten Diskussion um die Schließung Temelíns, welche FPÖ, SPÖ und Grüne fordern, bezeichnete er als nicht zielführend: "Jeder Staat hat das Recht auf seine eigene Energiepolitik."

Was Vizekanzler Hubert Gorbach wohl etwas anders sah: Gorbach sagte nach dem Ministerrat, er wolle diesen "x-ten Störfall" zum Anlass nehmen, um darauf hinzuweisen: "Ein sicherer Reaktor ist nur ein still gelegter Reaktor."

Mit dem oberösterreichischen Landeshauptmann Josef Pühringer fand sich zumindest ein VP-Politiker, der für eine "Nullvariante" eintritt. Da das AKW schon im Probebetrieb nicht in den Griff zu bekommen sei, sollte Tschechien endlich Konsequenzen ziehen und die Nullvariante debattieren, "statt Ausbaupläne zu wälzen". Dass sich alle Parteien des Temelín-Themas annehmen, hat natürlich wahltaktische Gründe. Politologe Fritz Plasser: "Jeder hofft auf einen Mobilisierungseffekt." Vor allem die Grünen könnten vom Umweltthema profitieren. Der FPÖ wird es mangels eines "glaubwürdigen Spitzenkandidaten" schwerer fallen.

Inspektoren sollen Angaben überprüfen

Während in Österreich wahlkampfbedingt die Stimmung hochkocht, wurde der Störfall in Brüssel eher gelassen gesehen. Am Dienstagnachmittag brachen Inspektoren nach Temelín auf, die von der EU-Kommission geschickt wurden. Sie sollen überprüfen, ob die Angaben über den Störfall im Atomkraftwerk korrekt waren, sagte der Sprecher von Energiekommissarin Loyola de Palacio, Gilles Gantelet, in Brüssel. Die Inspektoren werden im Rahmen des EU-Reaktionssystems auf Störfälle, Eurice, entsandt.

Nach den bisherigen Informationen der Kommission sei aber keine Radioaktivität ausgetreten. Gantelet meinte, es handle sich um einen Störfall, wie er "eben manchmal passieren kann". (eli, pm, to/DER STANDARD; Printausgabe, 9./10.6.2004)