„Wie gehen wir in der Politik miteinander um?“ Die zeitlich geballte Konzentration der Auseinandersetzung, die Fokussierung auf einzelne Personen und die mediengerechte Verkürzung komplexer Themen machen diese Frage in Wahlkampfzeiten besonders aktuell.

In vielen Bereichen ist das Europaparlament ein Vorbild dafür, wie faire und konstruktive Sachpolitik funktionieren kann. Als fraktionsloser Abgeordneter habe ich erfahren, dass dort Allianzen über alle Fraktionsgrenzen hinweg möglich sind und dass man mit Sacharbeit und Glaubwürdigkeit vorsätzlich geschürte Vorurteile abbauen und sich Vertrauen erwerben kann.

Faktum ist auch, dass ich während und im Zuge der Sanktionszeit gegenüber jedem Abgeordnetenkollegen einzeln das grauenhaft entstellte Bild korrigieren musste, das österreichische Kollegen von mir und meinen Delegationskollegen gezeichnet haben. Der SPÖ-Delegationsleiter bezeichnete im Plenum ÖVP- und FPÖ-Politiker als "unverantwortliche Politiker, zerfressen vom Machtstreben", und rief die Parlamentarier zur Unterstützung gegen eine von der Bevölkerung demokratisch gewählte nationale Regierung auf.

Gegen diese Verzerrungen anzukämpfen war keine leichte Arbeit, aber sie ist gelungen. Das EU-Parlament ist ein Sachparlament. Seine politische Kultur profitiert davon, dass es keine europäische Regierung gibt. Damit erspart man sich auch parteipolitischen Kleinkrieg.

Gerade aus diesem Grund ist es eine grobe Irreführung der Bevölkerung, Europawahlen als "Denkzettel" gegen eine nationale Regierung zu missbrauchen. Österreichische EU-Abgeordnete aller Parteien haben sachpolitische Anliegen und Ziele vorzuweisen, die sie jahrelang in Brüssel bewiesen haben. Wenn dieser EU-Wahlkampf es nicht geschafft hat, das zu vermitteln, kann man nur noch auf die Wählerintelligenz hoffen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10.6.2004)