Steuern wir auf eine Erinnerungsgesellschaft zu? Wäre nicht unlogisch. Da die Menschheit mit Fortdauer ihrer Existenz immer mehr Jahresringe und also Geschichten anhäuft, nimmt die Anzahl an Bedenk- und Gedenktagen anhaltend zu. Dass in Summe zu wenig geschieht, und wir uns deswegen dauernd mit der Vergangenheit befassen müssen, kann jedenfalls nicht der Grund sein.

Man sehe nur die Meldungen der letzten Tage durch, die das TV und seine Bewohner produzierten. Die katholische Kirche hat wegen einer Papst-Parodie zum Boykott von Anke Engelkes Late Night Show aufgerufen. Oder: Nach ihrem Vertragsende bei ProSieben will Moderatorin Arabella Kiesbauer auf Weltreise und ins Kloster gehen. Zudem: Dschungelbarde Costa Cordalis hat sich wegen seines einst nicht geleisteten Wehrdienstes mit den griechischen Behörden, die ihn unlängst verhaftet haben, geeinigt: Er wird während der Olympischen Spiele in Athen am Grab des unbekannten Soldaten Ehrenwache halten.

Und auch: Wieder will das US-Fernsehen seine Zuschauer schützen; das nackte Hinterteil von Rapper Eminem wird bei der Aufzeichnung der MTV-Movie-Awards in den USA nicht zu sehen sein. Eher stimmt also: Es geschieht zu viel, und solche Meldungen mit der Halbwertszeit eines Gummibären verstellen den Blick aufs Wesentliche.

Dass jedoch gerade RTL (will im Herbst die "90er-Show" startet) die Erinnerungsarbeit überlassen wird, ist bedauerlich. Dazu ist die Frage, was wichtig war, zu wesentlich. (tos/DER STANDARD; Printausgabe, 9./10.6.2004)