Als direkter Spross der "großen” Sozialforen in Porto Alegre und Paris ging es nicht um die Gründung einer neuen Organisation, sondern um einen offenen sozialen Raum. Gewerkschaften, NGOs, religiöse Vereinigungen und Privatpersonen haben drei Tage lang Erfahrungen ausgetauscht, über Strategien debattiert und sich aktiv vernetzt: "Nicht der kleinste gemeinsame Nenner ist unser Ziel, sondern das größte gemeinsame Vielfache”.
Das Programmheft umfasste 47 schön layoutierte Seiten, dementsprechend vielfältig und nahezu verwirrend zahlreich waren die angebotenen Workshops und Vorträge.
Finanzminister kommen selten zu Besuch
Im Wettbewerb der Veranstaltungen punkteten natürlich große Namen wie Oscar Lafontaine . Mit Breitseiten gegen die WTO oder die sinkende Unternehmensbesteuerung in den EU-Ländern sprach der ehemalige deutsche Finanzminister vielen Skeptikern der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik aus der Seele.
Nicht zu unterschätzen sei die Gefahr, die den öffentlichen Dienstleistungen wie Wasser, Bildung oder Gesundheitssystemen droht: "Privatisierung ist immer ein Schlag gegen die Demokratie. Das Wort heißt in seiner lateinischen Übersetzung auch "berauben". Bürger und Bürgerinnen werden ihrer elementarsten Rechte beraubt."
Wie man sich gegen solche Raubzüge wehren kann, wurde unter anderem im Forum "öffentliche Aneignung” verhandelt. Mit dem Begriff Aneignung wird der Spieß umgedreht: dem weltweiten Abwehrkampf gegen Privatisierungen setzt er eine Bewegung gegenüber, die offensiv und selbstbewußt für eine öffentliche, also auch wirklich demokratisch verwaltete Grundversorgung einsteht.
Welche Rolle spielt der EU-Binnenmarkt bei der Privatisierung der Grundversorgung? Bringt mehr Markt auch mehr Freiheit? Wie demokratisch muss ein Staat sein, damit die Menschen wieder beginnen, sich kollektiv anzueignen, was ihnen zusteht?
Wer wollte, konnte in den drei Tagen außerdem mit Gewerkschaftern über die umstrittene EU-Verfassung diskutieren, mit einem ÖVP-Landesrat über die ökosoziale Marktwirtschaft oder mit migrantischen Sexarbeiterinnen über Feminismus.
Effizienter Wissenstransfer war ein wichtiger Veranstaltungsfokus, wie der erfolgreiche Workshop der Politik-Routiniers ÖGB und Greenpeace zur Kampagnenplanung zeigt. Der Titel der Veranstaltung, "Wie erreichen wir unser Ziel von einer anderen Welt?”, wurde dabei wesentlich konkreter und praxisbezogener verstanden, als man es für das diskursive Faible der sozialen Bewegungen landläufig annimmt.
Zum praktischen Wert gelebter Utopien
Die wirklich bunten Flecken taten sich jedoch meist abseits dieser großen Veranstaltungen auf. Eine Reihe kleinerer Initiativen wollten in origineller Weise ausloten, ob ein "Leben nach dem Kapitalismus” überhaupt möglich ist, und offenbarten dabei einen Blick auf ihre vielleicht utopischen, auf jeden Fall aber sympathischen Visionen.
So haben sich unter dem Slogan "Offene Küche für alle” ein paar Einfallsreiche vorgenommen, jeden Tag gratis Essen zur Verfügung zu stellen. "Wir wollen nicht nur theoretisch über Alternativen zu Kapitalismus und Staatlichkeit räsonieren und auf die Realisierung in einer fernen Zukunft hinarbeiten.”
Und siehe da: ohne einkaufen zu müssen und ohne jemanden zum Abwaschzwangsverpflichten zu müssen, wurden täglich 60 hungrige Mägen gestillt. Den Anspruch, in einer solidarischen Atmosphäre das "größte gemeinsame Vielfache” zuzulassen, hat die Veranstaltung also übererfüllt.
Umso bedauerlicher ist es deshalb, dass die Zahl der TeilnehmerInnen, vor allem aus Linz selbst, unter den Erwartungen blieb. In welche Richtung das nächste österreichische Sozialforum 2005 gehen wird, hängt daher in erster Linie davon ab, wie sehr es in Zukunft gelingen wird, auch nicht politisierte Menschen einzuladen, neugierig zu machen und davon zu überzeugen, dass es möglich ist, gemeinsam an einer anderen Welt zu stricken.
Nachlese