Als Autor der "Männerphantasien", der sich zum "Körper des soldatischen Mannes" geäußert hat, bin ich oft gefragt worden, ob Fußball als Männerkampfsport nicht unterm Gesichtspunkt "Körperertüchtigung (verdeckt) soldatischer Männer" betrachtet werden muss; als eine Art Militäreinsatz also, dessen unausgesprochenes Ziel immer auch die fortdauernde Militarisierung der Gesellschaft sei, zumindest auf der Ebene fortdauernden Konkurrenz- und Hahnenkampfgehabes. Die Antwort, die in der Regel von mir erwartet wurde, sollte lauten: "Ja, so ist es." Um zur Bestätigung "Hab' ich doch immer gesagt" zu führen.

Martialischer Überhang

Ganz auszuschließen ist ein solcher Anteil am konkurrierenden Bolzgehabe in der Tat nicht. Die "gewünschte Antwort" habe ich dennoch eher verweigert. Zwar hat es Trainer gegeben, die Fußball genau unter solchen Gesichtspunkten betrieben haben. Christoph Biermann und Ulrich Fuchs haben in ihrem Buch "Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann" diese Seite des Spiels zutreffend beschrieben. Ein militärischer oder zumindest martialischer Überhang besonders im "Fußball alter Schule" war zweifellos gegeben. Und nicht nur im deutschen Fußball.

Der Torhüter Lars Leese, der eine Weile in England gespielt hat, beschreibt in "Der Traumhüter" die Situation "Kabine" nach einem Wochenendsieg mit den Worten: "Fußball ist eine Machowelt. Montag morgens bei uns in der Umkleidekabine hättest du das Guinnessbuch der Rekorde neu schreiben können: Jeder war der Größte, jeder hatte am Wochenende 125 Bier getrunken und 99 Frauen weggehauen." Das ist sicher eine Form von Krieg; aber eine Form, die heute nicht mehr an erster Stelle gefördert wird, wenn ich mir die Spiel- und Lebensbedingungen in den Fußballinternaten heutiger Profivereine anschaue.

Es gibt aber Tendenzen und Entwicklungen auf den "artistischeren" Seiten des Spiels, die es nahe legen, Fußball nicht als "Krieg" zu sehen. Um dies zu beschreiben, braucht man nicht einmal unbedingt die Selbstverständlichkeiten anzuführen, die Kriege von Spielen unterscheiden: den überwachten Kanon des Fair Play, die Anwesenheit von Schiedsrichtern, während der Terror des Krieges prinzipiell schiedsrichterlos läuft.

Die Liebe zum Ball

Was tut Fußball? Er organisiert einen Kampf; Kämpfe um die Herrschaft über ein bestimmtes Stückchen Erde - also genau das, worum Staaten Kriege führen. Er gibt dazu allerdings beiden Parteien ein und dasselbe Spielgerät in die Arena, den Ball. Dieses Spielgerät darf nicht zerstört werden. Sonst wird das Spiel unterbrochen oder abgebrochen. Dies ist der entscheidende Schritt zur unkriegerischen Lösung des angesagten Kampfes. Beide Mannschaften kämpfen auch - ob bewusst oder nicht - für die Unversehrtheit des Balles. Am Grunde des Spiels liegt für alle ihre Liebe zum Ball.

Wenn so die einen sagen, Fußball militarisiere, kann mit gleichem Recht geantwortet werden, Fußball zivilisiere kriegerische Potenziale. Als Kampfsport ist er in genau dieser Weise ambivalent und kann in seiner Ausübung sowohl in die eine wie in die an dere Richtung angelegt werden. Von einem Standpunkt aus, der absolut pazifiertes Körperverhalten als Voraussetzung der Zivilisiertheit ansieht, ist Fußball "brutal": 22 durchtrainierte Typen ochsen full power aufeinander los, um sich dieses Ding abzujagen. Wenn das zufällig fünf Minuten lang elegant aussieht, reden großspurige Fußballideologen gleich von Tanz und "Ballett".

Zivilisierung von Gewaltpotenzialen

So kann man - abschätzig - sprechen. Wer andererseits einen bestimmten Pegel körperlicher Gewalt in der Gesellschaft als gegeben annimmt, der seinen Ausdruck und seine Betätigungsfelder sucht, kann Fußball geradezu als eines der bedeutendsten Mittel benennen, an der Zivilisierung dieser Gewaltpotenziale mitzuwirken. Exakter gesagt: 95 Prozent der Zuschauer in den Stadien bekämpfen Wochenende für Wochenende erfolgreich den eigenen Hooliganismus.

Als Möglichkeit liegt er in ihnen wie in den manifesten Hooligans auch. Aber mithilfe von Zivilisierungsformeln wie "Die andern können auch Fußball spielen", "Es kann nicht zwei Sieger geben" oder "Es geht nicht immer gerecht zu auf der Welt, aber meistens gleicht sich das aus" wird das Kriegerische in Spielern wie Zuschauern ständig heruntergefahren. Während "Krieg" ja heißt, so lange auf den Feind einzuschlagen oder einzuwirken, bis er sich nicht mehr rührt.

Den Spieler, der einem andern einen Knochen bricht, gibt es auch heute, aber damit ist die Grenze der körperlichen Gewalt ziemlich genau bezeichnet. Die Entwicklung des Spiels in friedlichere Richtungen ist dagegen nahezu unbegrenzt. In Frieden stiftende Richtungen sogar: Ein Grundschullehrer vor einer Klasse mit deutschen, türkischen, griechischen, kroatischen und portugiesischen Schülern hat kein besseres Mittel, diese auf einer gleichen und gemeinsamen Ebene agieren zu lassen, als ein Fußballspiel.

Fußball spielen sie alle. Der Portugiese mit den Rechtschreibproblemen womöglich besser als sein fehlerloser deutscher Nebenmann. Nirgendwo bekommen der Chilene oder der Türke, die beim Rechnen die Aufgaben nicht verstehen, ihre Anerkennung, ihr "Erfolgserlebnis" leichter und auch neidloser als beim Kicken. Wer gut spielt, spielt eben gut. Und wer nicht so gut spielt, befindet sich immerhin in einer nachvollziehbaren, von allen Spielern anerkannten sozialen Rangordnung, in der er seine Position verorten kann. Jeder Kick gegen den Ball entfernt die Beteiligten weiter vom ebenso möglichen Schlag auf die Nase des Kontrahenten. Gut - andere Spiele tun das auch, vielleicht sogar besser. Bloß: Alle spielen Fußball. Schach, Schwimmen, Tennis betreiben nur ein paar.

Gegner statt Feinde

Die erste grundsätzliche Verschiebung, die auch ein Kampfsport an der Form "Krieg" vornimmt, ist die Verwandlung von Feinden in Gegner. Gegner mit gleichen Rechten spielen gegeneinander. Die oberste Regel des Spiels sagt, dass die körperliche Unversehrtheit des anderen genauso zu schätzen und zu bewahren ist wie die eigene. Das geschieht im Spiel durch die permanente Umwandlung von Vernichtungspotenzialen in spielerische Techniken.

Jedes Stückchen Technikzuwachs ist ein Stück Gewaltabbau. Ziel jedes vernünftigen Trainings ist die Erhöhung der technischen Fähigkeiten der Spieler - gepaart mit den notwendigen Kraft-, Ausdauer- und Taktikpotenzialen. Auf der Schiene der Entwicklung der Spieler zu Allroundspielern hat es hier im letzten Jahrzehnt eine Art Quantensprung in der Auffassung vom Fußball gegeben. (DER STANDARD Printausgabe 12.06.2004)