Die große Sorge der irakischen Kurden ist verständlich: Nach und nach ziehen sich die USA aus den politischen Prozessen im Irak zurück, nicht - wie man sich vor einem Jahr wünschen durfte - weil ohnehin alles richtig läuft, sondern weil sie einsehen müssen, dass sie die Entwicklungen nicht mehr kontrollieren. Dass der Irak sich in einen Staat verwandelt, in dem auch die Minderheiten auf moderne demokratische Standards zählen dürfen - die die Kurden völlig zu Recht nur in einer föderalen Struktur erwarten -, ist nicht mehr prioritär.

Die Sicherheit ist es: Sie zwingt die USA zum Nachgeben etwa bei der irakischen Regierungsbildung oder der UNO-Resolution - wo sie durch das Weglassen ihrer im März hochgejubelten Interimsverfassung den Beweis zuließen, dass diese das Papier nicht wert ist, auf dem sie geschrieben steht - und zu seltsamen Arrangements mit den Rebellen in Falluja und in Najaf. Bei einer sich weiter verschlechternden Lage zeichnet sich folgendes Bild für die Zukunft ab: Eines Tages wird sich die US-Armee weit gehend aus den Städten zurückgezogen haben und an den Rändern des Irak und in einzelnen Militärbasen sitzen - und dazwischen ein "failed state", mit gewalttätigen Konflikten auf verschiedensten Ebenen und mit verschiedensten Dynamiken.

Ein Horror für die Kurden, die unter Saddam Hussein schon so viel gelitten haben. Durch Kooperation mit den US-Truppen und politischer Pragmatik in der Nachkriegszeit versuchten sie, politisch irreversibel einen Fuß in die Tür zu setzen. Die USA haben sich aber einmal mehr als unzuverlässiger Partner erwiesen und desavouieren die kurdische Führung, die ohnehin unter Druck der Grass Roots steht, die den großen kurdischen Traum nicht vergessen haben: einen kurdischen Staat. Und wenn es der internationalen Gemeinschaft nicht gelingt, den Kurden eine sichere Existenz innerhalb des Irak zu garantieren, wird man ihnen diesen Staat wohl zugestehen müssen. (DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.6.2004)