Beim letztjährigen Sozialforum in Porto Alegre wurde ein T-Shirt gesichtet, auf dem Hakenkreuz und Davidstern mit einem Ist-gleich-Zeichen verbunden waren. Das Leiberl heizte eine Diskussion an, die bereits länger schwelt, die Frage, ob die Antiglobalisierungsbewegung zu judenfeindlichen Stereotypen neigt.

Das wird ihr, von außen und manchmal sogar von innen, nachgesagt. Es fehlt nicht an Einzelbeispielen wie der geschmacklosen Grafik, oder dem goldenen Kalb in Davos, vor dem Demonstranten mit Bush- und Sharon-Masken niederknieten, oder den Ausritten rechts- wie linksradikaler Parteigänger innerhalb der Bewegung. Es geht aber auch ums Prinzipielle. So wird der Gruppe Attac - die erst vor allem für die Besteuerung von Devisentransaktionen eintrat - vorgeworfen, zwischen gutem und weniger gutem, sozusagen "schaffendem" und "raffendem" Kapital zu unterscheiden und damit an alte pseudoökonomische Vorurteile anzuknüpfen.

Unsinn, verteidigen sich die Führer von Attac und anderen No-Global-Bewegungen, sie könnten nichts für die Entgleisungen Einzelner, und im Übrigen sei das so, als wolle man Sozialisten mit den Nationalsozialisten gleichsetzen - oder für sie verantwortlich machen. Ein für das vorliegende Thema eher verwirrender Vergleich, haben sich doch Sozialisten in der Zwischenkriegszeit gelegentlich einer antisemitischen Bilder- und auch sonstigen Sprache befleißigt; wobei gleichzeitig unter ihren Wortführern die Juden überrepräsentiert waren.

Das alles hilft kaum bei der Erklärung der gegenwärtigen Situation, die wohl an tradierten Mythen leidet, ebenso aber von neuen Konstellationen geprägt ist und verzerrt wird. Aus dem wachsenden islamischen, tendenziell so antiwestlichen wie antijüdischen Bevölkerungsanteil in Europa rekrutieren sich neue Globalisierungsgegner. Deren Stammmannschaft, die alte und neue Linke, steht aber selbst wegen ihres Verhältnisses zu Israel, dem einzigen westlich-kapitalistisch organisierten Land im Nahen Osten, unter Kritik. Die meisten von ihnen beharren darauf, dass sie zwischen Israelkritik und Antisemitismus unterscheiden können. Aber wer bestimmt, wo das eine aufhört und das andere anfängt? "Man weiß es, wenn man's sieht", ein traditionelles Kriterium, nützt wenig, wenn so viele so Verschiedenes sehen, von nützlicher Idiotie bis zur Instrumentalisierung der Vergangenheit. Im Spannungsfeld Globalisierungskritik / Antisemitismus / Antikapitalismus / Antikolonialismus wird kategorisch abgekanzelt wie sonst selten.

So verstieg sich der deutsche Soziologe Natan Sznaider in der Zeit zur folgenden verblüffenden Kette von Kurzschlüssen: "Wer Öl sagt, kann sich schick antiimperialistisch und antiglobal gebärden . . . Öl ist Geld. Und Geld ist böse, ist Entfremdung und typisch jüdisch. Es ist nie schwer gefallen, diesen Entfremder zu personalisieren." Es half wenig, dass Sznaider im STANDARD-Interview sein polemisch gewendetes Argument mit dem der "jüdischen Dominanz der US-Medien" gleichsetzte und ferner sagte, die Behauptung, es gehe im Irak "ums Öl", sei so sinnvoll wie "um Schweizer Käse". Einer gelassenen Diskussion über das Thema tat er so oder so keinen Gefallen. Man solle, wie Robert Misik in der taz zum Antisemitismus-Vorwurf resümierte, "nicht die schwindende Bereitschaft, Unterscheidungen zu treffen, auch noch feiern".

Systematische empirische Daten zum Thema würden helfen, sind aber rar. Die Ergebnisse der EU-Studie der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) beruhen auf methodisch problematischen Quellen, lassen kaum Schlüsse zu und geben den Beschwichtigern wie den Warnern gleichermaßen Argumente in die Hand.

Die Gemengelage ist undurchsichtig, weil unterschiedlichst motivierte Kräfte mitmischen. Bei den Kritikern der Globalisierung treffen guter Wille auf taktische Vereinnahmung, alte Rechnungen auf neue Bündnispartner, Persönlichstes auf Politisches. Statt pauschaler Urteile im Debatten-Wanderzirkus ist ein genauer Blick angebracht. Die Problematik, um die es geht, ist zu ernst für Sonntagsreden. (Michael Freund/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13. 6. 2004)