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Hammett von der Gruppe Metallica während des Konzertes im Rahmen des dreitägigen Aerodrome am 11. Juni 2004 in Wiener Neustadt.

Foto: apa/HERBERT P. OCZERET
Mit dem zweitägigen Festival Aerodrome folgt nun auch Österreich dem internationalen Trend zur Pop-Großveranstaltung. Musik als Vehikel für das große Geschäft. Am Freitag ging es mit dem Auftritt der Superstars Metallica lautstark, aber friedlich zu Ende.


Wiener Neustadt - Ein Piercing gefällig? Eine Tätowierung oder - für richtige Lackeln - eine flächendeckende Tätowation? Türkisches Kebab oder dänischen Hot Dog? Pizzaschnitte oder Pasta? Schnitzel oder nur Bier? Cuba-Cocktail und zur Ausnüchterung etwas Todesangst beim Bungeejumping?

Setzen wir hier den Fragezeichen ein Ende. Denn diese Aufzählung könnte noch lange fortgesetzt werden. Gehört erwähnter Angebotsreigen doch zum Rahmenprogramm des zweitägigen Aerodrome-Festivals in Wiener Neustadt, bei dem über 130.000 Besucher versorgt und unterhalten werden müssen. Und am Samstag, bei Herbert Grönemeyer und Co, noch einmal rund 30.000 Gäste.

So eine Riesenveranstaltung, die Österreich nun in den Kreis des großen europäischen Festivalzirkus bringt, ist längst nicht nur ein Musikfestival. Ein Blick über das Flugfeld bestätigt einen Themenpark aus Kooperationen, Merchandise, Sponsoring, Werbung und anderer heißer Luft: Plakatwände mit Firmenlogos von Mobilnetzanbietern, Zeitungen und Radiosendern. Dazwischen ragen Fahnen von Softdrinkerzeugern in militärisch anmutender Strenge gen Himmel.

Selbst dort wird es langsam eng: Ballons mit Firmenschriftzügen und über das Gelände kreisende Flieger mit Werbebändern wetteifern um die Aufmerksamkeit der Besucher, die sich währenddessen am Bankomat, den Mobilklos oder deren Zulieferern, den Getränkebuden, anstellen. 66.000 sind es am Freitag, dem Tag der Härte. Musikalisch betrachtet. Immerhin stehen Bands wie Motörhead, Korn, Slipknot und als Hauptact die Superstars Metallica am Programm. Dazu findet in einer Halle mit 6000-Kapazität ein vom Radiosender FM4 programmiertes Festival im Festival statt, bei dem etwa die US-Band Sophia ihren melancholischen Rock bereits am Nachmittag brav beklatscht in den dunklen Raum spielt.

Etwa zur selben Zeit beendet eine Band auf der Hauptbühne ihr Set. Beim abschließenden Applaus weiß man nicht recht, ob er als Dank für den Auftritt oder den Abgang gedacht ist. Bedeutet dieser doch, dass - endlich! - Motörhead auftreten. Zu Beginn der Show des Hardrock-Urgesteins befinden wir uns im VIP-Bereich.

VIP bedeutet, dass einem junge Damen in klingonischen Kostümen Gratiszigaretten anbieten oder sich in blauen Stewardessen-Outfits, die auch aus dem Fundus des letzten FPÖ-Parteitags stammen könnten, um die Gäste kümmern. Während Motörhead-Chef Lemmy Kilmister mit der Ankündigung "We gonna kick your ass!" in den ersten Song fährt, verkosten hier sehr wichtige Personen mit - der Etikette entsprechend - weggestrecktem kleinen Finger Wein. Der wilde Geist des Rock 'n' Roll wird mit "Barbera Cascina Nuova" um rund 45 Euro die Flasche übersetzt.

Lemmy erkundigt sich derweil, ob das Trio laut genug ist: "Lautstarke!", brüllt der Brite merklich gut gelaunt ins Mikro und knallt dem Publikum eine Stunde knochentrocken seine Hausmarke zwischen Hammer, Amboss und Steigbügel: das Pikass!

In der anschließenden Pause taucht im VIP-Zelt plötzlich Ozzy Osbourne auf. Nein, doch nicht. Nur eine Frau, die sein Zwillingsbruder sein könnte. Ihr folgen zwei tätowierte Tomaten: Sonnenmilch ist schrecklich feig. Apropos Freakshow. Slipknot betreten nun die Bühne.

Pinocchio und Taliban

Die US-Band aus dem Bundesstaat Iowa muss derselben Geisterbahn entsprungen sein wie Schock-Rocker Marilyn Manson. Angetan in Halloween-Masken, die an Splattermovies wie Hellraiser oder unbewältigte Kindheitstraumata wie Pinocchios Lügennase angelehnt sind, präsentiert die vielköpfige Mannschaft samt unhörbarem DJ ihren massiv perkussiv unterstützten Metal, der in seiner uniformen Art live geradezu talibanesk erscheint. Am aktuellen Album Vol. 3: The Subliminal Verses sorgt immerhin Produzent Rick Rubin für etwas Abwechslung.

In der über einstündigen Show spielen repetitive Gitarrenriffs die Hauptrolle und demonstrieren im wahrsten Sinn des Wortes schaurig, dass eine Weltkarriere auch mit nur einem einzigen Song möglich ist. Dazu gestikuliert ein Maskenmann voll bedrohlich mit dem Baseballschläger, was die Assoziation mit weichen Birnen unfreiwillig bestätigt. Aber: Monotonie im Langzeitversuch erzielt ihre Wirkung. Siehe auch: Häusl-House und Golf-GTI-Techno. Also Jubel. Vorhang. Umbau - dann Korn.

Die US-Formation Korn gilt als der wichtigste Vertreter des Nu-Metal. Ein neokonservatives Genre mit Wurzeln in den 90ern, das man sich als musikalische Umsetzung von Blockbustern wie Armageddon oder Godzilla vorstellen kann. Also großkotzig und ziemlich dämlich, was zu lyrischer Fokussierung auf Begriffe wie "Fuck" und "Shit" führt. Auf dem T-Shirt eines begeistert headbangenden Fans ist "Fuck You Fuckin' Fuck" zu lesen. Lieb.

Dass Sänger Jonathan Davis derlei komplexe Botschaften live teils vom Textbildschirm liest, weil's um sein Gedächtnis nicht mehr ganz so gut stehen soll, sei hiermit als Insiderindiskretion von Veranstalterseite schamlos verbreitet. Trotzdem: Bis auf Unnötigkeiten wie eintöniges Dudelsackgebläse des Frontmannes im schwarzen Kilt, kann das Quintett mit hart konturiertem Metal samt Funk-Momenten den Weg für jene Band gebührend ebnen, wegen der das Gros des Publikums angereist ist: Metallica.

Böse Blicke

Der Ehrgeiz, deren Auftritt möglichst nahe mitzuerleben, endet etwa 50 Meter vor der Bühne: Menschenstau, böse Blicke, Schulterschluss der Schwarzen. Was nun kommt, rechtfertigt jede Strapaze. Über zwei Stunden fegt das Quartett um James Hetfield und Lars Ulrich durch unvermeidliche Hits wie Enter Sandman, und sogar der an der Grenze zur Unhörbarkeit beheimatete Brocken St. Anger lässt - trotz leichter stimmlicher Schwächen Hetfields - die Neigungsgruppe vor süßem Schauer erzittern. (DER STANDARD, Printausgabe vom 14.6.2004)