Berlin/München - In Deutschland hat am Montag die politische Diskussion über das Ergebnis der EU-Wahlen und allfällige Konsequenzen begonnen. Dabei hat Bundeskanzler Gerhard Schröder die Fortsetzung seiner Reformpolitik auch nach den Niederlagen der SPD in Thüringen und bei der Europawahl angekündigt. "Wir müssen diese Politik - weil sie objektiv notwendig ist - weiterführen", sagte Schröder am Montag vor einer Sitzung des SPD-Präsidiums in Berlin. "Zur Agenda 2010 gibt es keine vernünftige Alternative, deshalb müssen wir sie fortsetzen". Schröder fügte hinzu: "Ich kann nur diese Politik weiterführen und ich will nur diese Politik weiterführen."

Die Regierung habe am Sonntag nicht zur Wahl gestanden, betonte Regierungssprecher Bela Anda am Montag in Berlin. Insofern ergäben sich für sie auch keine Konsequenzen aus dem Ergebnis. Die SPD hatte bei der Europawahl mit 21,5 Prozent der Stimmen eine bisher beispiellose Niederlage erlitten. Anda führte das Ergebnis vorrangig auf zwei Ursachen zurück: Zum einen gebe es in der Bevölkerung immer noch Ängste vor den Folgen der EU-Erweiterung. Zum anderen befinde sich Deutschland mitten in einem Reformprozess, bei dem die Maßnahmen bereits eingeleitet, die Wirkungen aber noch nicht voll erkennbar seien. "Aber diese Kluft wird kleiner, und das wird sich auch vermitteln", sagte Anda. Im Übrigen seien bei der Europawahl fast alle Regierungen abgestraft worden. Eine Ausnahme stelle Schweden dar, das den Reformprozess schon hinter sich habe.

Benneter sieht keinen Grund für Rückzug Schröders

Auch SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter sieht in dem schlechten Ergebnis seiner Partei sowohl bei der Europa- als auch bei der thüringischen Landtagswahl keinen Grund für einen Rückzug von Bundeskanzler Gerhard Schröder. "Wie soll sich denn einfach durch einen Personalwechsel in der Sache etwas ändern? Wir wollen in der Sache vorankommen", sagte Benneter am Montag im ARD-Morgenmagazin auf die Frage, ob die SPD nicht einen neuen Kanzler brauche, weil die Bürger Schröder nicht mehr wollten.

Reformkurs

Es sei klar, dass die SPD an ihrem Reformkurs festhalten werde, sagte Benneter. Allerdings gebe es weiter ein Problem dabei, die Reformen der Bevölkerung zu vermitteln. Die SPD war am Sonntag bei der Europawahl auf 21,5 (1999: 30,7) Prozent und bei der Landtagswahl in Thüringen auf 14,5 (18,5) abgesackt. "Wir müssen schon deutlich machen, wo es hingehen muss und wir müssen natürlich auch Wirkung erzielen", sagte der Generalsekretär. Die Menschen müssten um Verständnis für die Reformen gebeten werden.

Konsequenzen

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Michael Müller hat Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden seiner Partei verlangt. Er erwarte in der Fraktion "eine kritische Debatte über die Rolle des Kabinetts", sagte Müller der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "Die Welt". Der "Berliner Zeitung" sagte er: "Was sollten personelle Veränderungen bringen, wenn die inhaltlichen Fragen nicht gelöst sind?" Er forderte einen "Deutschlandplan der SPD", mit dem sich die Menschen inhaltlich identifizieren "und an dem sich die Sozialdemokraten politisch abarbeiten können".

Auch der Vorsitzende der niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion, Sigmar Gabriel, forderte Konsequenzen aus dem Wahldesaster seiner Partei.

Stimmverluste der SPD

Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers sieht in den deutlichen Stimmverlusten der SPD den "Anfang vom Ende von Gerhard Schröder und seiner rot- grünen Regierung in Berlin". "Die Zeit des Medienkanzlers ist vorbei", sagte Rüttgers am Montag im ARD-Morgenmagazin. Forderungen nach einer Neuwahl seien jedoch verfrüht.

"Keine Auswirkung auf Koalition"

Das SPD-Debakel wird nach den Worten der Grünen-Chefin Angelika Beer keine Auswirkungen auf die Koalition in Berlin haben. "Wir bleiben hier Partner", sagte Beer am Montag im RBB-Inforadio. Einen der Gründe für das gute Abschneiden ihrer Partei sieht Beer im inneren Zusammenhalt der Grünen: "Wir kämpfen von der Spitze bis zur Kommune zusammen." Außerdem hätten die Grünen als einzige Partei "wirklich einen Europawahlkampf" geführt.

"Lichtgestalt"

Der bayerische SPD-Landesvorsitzende Ludwig Stiegler lehnt eine Regierungsumbildung nach dem Debakel seiner Partei bei der Europawahl ab. Es sei niemand erkennbar, "der wie eine Lichtgestalt auftauchen könnte", sagte Stiegler am Montag im Bayerischen Rundfunk. Auch von einer Abkehr vom Reformkurs der rot- grünen Koalition hält der Politiker nichts. Schmerzhafte Veränderungen müssten vielmehr in Kauf genommen werden. Der bayerische SPD-Chef bedauerte, dass bei den Sozialdemokraten die Stammwähler nicht an die Urnen gegangen seien. Den Wählern sei offensichtlich nicht bewusst, "was ein Regierungswechsel auf Bundesebene bedeuten würde", sagte Stiegler. Die Wahlschlappe der SPD führte er auf bundespolitische Einflüsse zurück. "Hier hat sich ein bundespolitisches Tiefdruckgebiet abgeregnet." (APA/Reuters/dpa/AP)