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Enttäuschte England-Fans versammeln sich vor der Rückreise nach Faro am Lissaboner Bahnhof Sete Rios.

Foto: Reuters/Borga

Die "Docas" am Rio Tejo sind auch nicht mehr, was sie einmal waren. Dort stapeln sich heute förmlich die Lokale, dort macht das Lissabonner Jungvolk die Nächte zu Tagen. Derzeit geben sich die "Docas" very British, Englands Fußballfans haben die Stadt quasi erobert, ganz ohne Gewalt, ganz ohne Ausschreitungen. In den Lokalen stimmen sie Schlachtgesänge, daheim auf der Insel stimmen sie Loblieder auf die braven Anhänger ("hooli-gones") an.

Nach dem 1:2 gegen Frankreich konnten und wollten viele Engländer nicht gleich zu Bette gehen, und immer wieder starrten sie in den Bars auf die Bildschirme, wo immer wieder jene drei Nachspielminuten abliefen, in denen Zinedine Zidane aus einem 0:1 ein 2:1 für Frankreich machte. Und immer wieder brachen sie, die Engländer, in Jubel aus, als Zidane erst den Freistoß und dann den Penalty verwertete. Und wenn ihnen ab und zu ihre Hymne schon beim Hals heraushing, dann brachten sie, die Engländer, einfach dem Franzosen Thierry Henry, der den Elfer herausgeholt hatte, ein Ständchen.

Feind gleich Freund

Henry ist bei der EM einer von neun Franzosen, die in England ihr Geld verdienen, die Fans von Arsenal London verehren ihn und Vieira und Pires und Wiltord. Für Chelsea kicken Gallas und Makelele und Desailly, dazu kommen noch Saha und Silvestre von Manchester United. Und das ist den meisten Engländern schon eingegangen, dass sie nicht plötzlich schmähen können, wen sie monatelang angefeuert und bejubelt haben.

An den 2:1-Finaltriumph von Manchester United in der Champions League 1999 gegen Bayern München fühlten sich einige Briten vielleicht erinnert. "Aber den meisten von uns", sagt einer zwischen zwei Schluck Bier, "war das damals völlig egal. In Wahrheit haben da auch die Falschen gewonnen." United ist wirklich nur in Manchester und sonst überhaupt nicht beliebt auf der Insel.

Das Schöne an der Partie am Sonntag war die Atmosphäre im Estádio da Luz, war die Fertigkeit von 22 Ausnahmekönnern und ihr Respekt vor- und füreinander. War aber auch die Tatsache, dass sie sich am Ende tatsächlich auf jenes eine gigantische Duell reduzieren ließ, auf Zinedine Zidane gegen David Beckham. Die Real-Madrid-Kollegen sind die Überkicker unserer Zeit, beide können eine Sache besser als alle anderen, Beckhams Ding ist das Flanken, Zidanes Ding ist das Spielen an sich und das Führen eines Teams.

Beckhams Flanke auf Lampard führte zum englischen 1:0 (38.), es war alles andere denn Zufall, schon zuvor hatten einige Beckhambälle den Lampardkopf getroffen. In der 73. Minute bot sich Beckham die Chance, das Match zu entscheiden, Rooney hatte einen Elfer herausgeholt, Beckham scheiterte an Barthez, vergab den Elfer und die Chance. Und dann machte Heskey den Fehler, ein vermeidbares Foul nicht zu vermeiden, und dann machte Gerrard einen verhängnisvollen Rückpass, und dann machte Zidane den Sack zu und den Unterschied aus.

"Es war ein hartes Spiel", sagte Zidane. "Ich nehme die Schuld auf mich", sagte Beckham. Der eine ist kein Plaudertascherl, der andere ist kein Sexgott, doch auf dem Platz stehen sie im Mittelpunkt, sie drücken Spielen ihren Stempel auf, sie entscheiden Spiele, wie auch immer. So bestimmen sie selbst ihren Marktwert und ihre Gage. Beckham (32) verdient 22,4 Millionen Euro im Jahr, im Sommer 2003 hat Real Madrid 35 Millionen Euro an ManU überwiesen. Zidane (31) verdient 15,4 Millionen im Jahr, im Sommer 2001 hat Juventus die Rekordsumme von 76 Millionen lukriert.

Mit Elfmetern haben es die Engländer schon seit geraumer Zeit. Im WM-Semifinale 1990 vergaben Pearce und Waddle im Penaltyschießen gegen Deutschland. Sechs Jahre später, während ihrer Heim-EM, sangen die Fans: "Football's coming home". Doch dann - erneut im Semifinale gegen Deutschland - scheiterte Southgate an Köpke. Vielleicht hat's ja sein Gutes, dass es diesmal mit einem Schock begann. Teamchef Sven Göran Eriksson: "Auf ein Wiedersehen mit Frankreich am 4. Juli." Die Schweiz und Kroatien bleiben krasse Außenseiter in Gruppe B, die EM hat gerade erst begonnen. Was den englischen Kick betrifft, ist das eine gute Nachricht, hinsichtlich möglicher Krawalle eine schlechte. (Fritz Neumann aus Lissabon - DER STANDARD PRINTAUSGABE 25.4. 2004)