Bild nicht mehr verfügbar.

Noch hält er die EU-Fahne in Händen: Bertie Ahern will die Verhandlungen über die Verfassung unter seiner Präsidentschaft zu Ende führen.

Foto: Reuters
Die Verabschiedung einer europäischen Verfassung hat oberste Priorität. Über weite Strecken herrscht Einigkeit, die offenen Fragen - spezifische Interessen an EU-Institutionen - sollten möglichst schnell geklärt werden, fordert der derzeitige EU-Ratspräsident.

***

Die EU ist gefordert, sich auf die Prioritäten von heute und morgen zu konzentrieren. Sie muss einen besseren Draht zu ihren Bürgern finden und deren Unterstützung gewinnen, in dem sie zeigt, dass Europäer gemeinsam Wachstum fördern, Arbeitsplätze schaffen, internationale Kriminalität bekämpfen und eine saubere Umwelt sichern können. Die Union muss eine aktivere Rolle spielen, nicht um ihre Eigeninteressen, sondern die universellen Werte zu fördern, auf denen sie gegründet wurde. Vor allem benötigt die erweiterte Union einen verfassungsrechtlichen und institutionellen Rahmen, der ihren Zielen entspricht.

Seit 30 Monaten haben Regierungen und Parlamentarier an einer Verfassung für Europa gearbeitet. Ein Entwurf wurde vom Konvent unter dem Vorsitz des französischen Expräsidenten Valéry Giscard d'Estaing ausgearbeitet. Nun müssen die nationalen Regierungen diese Arbeit beenden. Unser wichtigstes Ziel in Brüssel diese Woche ist, eine Einigung über die Verfassung zu erzielen.

Über weite Teile des Entwurfes gibt es schon längere Zeit einen Konsens. Es gibt keine Differenzen über die Werte und Ziele der EU, die Hereinnahme einer Grundrechtscharta und eine Vereinfachung der gesetzgebenden Verfahren. Das sind bedeutende Fortschritte. Aber nationale Regierungen haben unvermeidbar besondere Interessen an den Kompetenzen der EU-Institutionen - in Bereichen wie Außenpolitik, Verbrechensbekämpfung und Steuer. Über diese Bereiche müssen wir uns noch einigen.

Patt durchbrechen

Durch bilaterale Kontakte und Verhandlungen zwischen Ministern ist es uns gelungen, die offenen Fragen so weit zu reduzieren, dass nunmehr ein faires und ausgeglichenes Paket erzielt werden kann. Wie bei jeder Verhandlung sind die entscheidenden Elemente der Zeitplan und der politische Wille. Vergangenen Dezember waren die Menschen einfach noch nicht bereit für eine endgültige Einigung.

Die Entscheidung des Rates im März, die Verhandlungen unter der irischen Präsidentschaft zu Ende zu führen, war ein starkes Signal für unsere Entschlossenheit, das Patt zu durchbrechen. In den vergangenen Wochen habe ich alle meine Kollegen persönlich getroffen und dabei kein Nachlassen der Entschlossenheit bemerkt. Es gibt Einstimmigkeit darüber, dass wir uns kein Scheitern leisten können. In einer schwierigen Phase für die Union müssen wir beweisen, dass die Mitglieder kollektive und komplizierte Entscheidungen im gemeinsamen Interesse treffen können.

Das grundlegende institutionelle Gleichgewicht zwischen Kommission, dem Rat und dem EU-Parlament steht nicht zur Debatte. Aber die Institutionen müssen modernisiert werden. Die Einrichtung eines ständigen Ratsvorsitzenden und eines EU-Außenministers soll zu mehr Kontinuität und Zielgerichtetheit führen, und es soll eine Drei-Länder-Präsidentschaft für andere Ratsbereiche geben.

Allgemein akzeptiert wird zudem, dass die Stimmrechte im Rat auf einer doppelten Mehrheit von Bevölkerung und Mitgliedstaaten basieren sollen. Das ist logisch, transparent und repräsentativ. Die genauen Arrangements für diese Mehrheit müssen noch angepasst werden, sodass spezielle Anliegen der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden und zugleich das neue System effizienter als das alte wird.

Die Aufgabe der Kommission ist es, die Agenda der EU im gemeinsamen Interesse voranzutreiben. Repräsentativität und Legitimität kann dadurch erreicht werden, dass in den nächsten beiden Kommissionen alle Mitgliedstaaten vertreten sind und dass danach eine kleinere Zahl von Kommissaren in einer ganz ebenbürtigen Weise einander abwechseln werden.

Kontrollfunktion Man muss auch dafür sorgen, dass die Bürger aller Mitgliedstaaten, kleine wie große, ausreichend im EU-Parlament vertreten sind. Die Verfassung sieht eine Ausweitung der wichtigen legislativen und budgetären Parlamentsfunktionen in Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten vor. Erstmals wird den nationalen Parlamenten eine bedeutende Kontrollfunktion zuerkannt.

Diese Arrangements werden die institutionelle Natur der EU - das Gleichgewicht zwischen Institutionen und Mitgliedstaaten - erhalten und gleichzeitig die Aussicht auf mehr Effektivität, Effizienz und Transparenz bieten. Die Verfassung wird die Zahl der Mehrheitsentscheidungen deutlich ausweiten, was in einer Union von 25 (und bald mehr) Mitgliedern auch notwendig ist. In einigen Bereichen wird jedoch die Einstimmigkeit erhalten bleiben.

Allzu oft werden die Verhandlungen dieser schwierigen Fragen als Kampf zwischen Ländern oder Ideologien dargestellt. Aus meiner eigenen langen Erfahrung weiß ich, dass alles Gerede von Siegern und Verlierern nicht nur konterproduktiv, sondern auch irreführend ist. Jeder muss Zugeständnisse machen, jeder muss aber auch seine eigenen Hoffnungen und Sorgen im endgültigen Text wiederfinden.

Wenn wir diese Woche Erfolg haben, dann ist das ein Triumph der EU. Europa ist ein Zusammenspiel verschiedener Traditionen und Geschichten souveräner Staaten. Wir sind jedoch geeint in unserem Glauben, dass das Teilen von Souveränität sowie die Zusammenarbeit der beste - ja, der einzige - Weg vorwärts ist. Die Verabschiedung einer Verfassung markiert das Ende der bitteren Spaltungen der Vergangenheit und bietet die Chance auf eine funktionierende Union für 450 Millionen Bürger. (© Project Syndicate 06/'04/DER STANDARD, Printausgabe, 16.6.2004)