Prag - Innerhalb der tschechischen Sozialdemokratie (CSSD) wächst die Unzufriedenheit mit dem Parteichef und Premier Vladimir Spidla nach dem Debakel bei den Europawahlen, in denen die Partei nur 8,8 Prozent Stimmen erhalten hatte. Die Absetzung Spidlas von der Parteispitze bei der außerordentlichen Sitzung des CSSD-Zentralkomitees am 11. Juli, wo er die Vertrauensfrage stellen wird, scheint immer wahrscheinlicher. Das berichteten die tschechischen Zeitungen am Mittwoch unter Berufung auf hochrangige Parteimitglieder, die anonym bleiben wollten.

"Spidla ist jetzt ganz unten. (...) Es ist fast sicher, dass er das Vertrauen des Zentralkomitees nicht erhalten wird", zitierte das Blatt "Lidove noviny" einen CSSD-Abgeordneten. Große Enttäuschung herrscht nach Angaben der Zeitung "Pravo" in den regionalen CSSD-Organisationen. "Er hat vielleicht nicht begriffen, dass die Leute gegen ihn schon allergisch sind", sagte ein Chef einer einflussreichen Bezirksorganisation der CSSD. Die Geduld mit Spidla sei zu Ende gegangen, nachdem er in dem CSSD-Klub aufgetreten sei und erklärt habe, dass die Regierungspolitik richtig sei, man müsse sie nur "besser in den Medien präsentieren", heißt es in CSSD-Kreisen.

Möglicher Nachfolger

Für den Fall, dass das CSSD-Zentralkomitee Spidla das Vertrauen verweigert, gilt als sehr wahrscheinlich, dass der erste Vizechef der CSSD und Innenminister Stanislav Gross die Parteiführung übernähme, wobei Spidla zunächst Regierungschef bliebe. Gross zeigte sich unterdessen zur Übernahme der Parteiführung bereit. "Selbstverständlich ist das eine mögliche Variante. (...) Es kann vieles passieren", meinte er. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses hatte Gross "umfangreichere" personelle Änderungen gefordert.

Nach Angaben von "Pravo" müsste aber Spidla nach seiner eventuellen Absetzung von der Parteispitze höchstwahrscheinlich auch die Regierungsspitze verlassen. Sollte er dies nicht tun, seien mehrere CSSD-Regierungsmitglieder bereit, ihren Rücktritt einzureichen, weil sie nicht unter einem Kabinetts-Chef arbeiten wollten, der das Vertrauen seiner Partei verloren habe, schreibt das Blatt unter Berufung auf CSSD-Kreise. Der Rücktritt des Premiers bedeutet dabei nach tschechischen Gesetzen automatisch den Rücktritt der ganzen Regierung.

Noch vor der avisierten Sitzung des CSSD-Zentralkomitees wird ein anderes Ereignis mit Spannung erwartet, das das Schicksal von Spidlas Regierung weitgehend beeinflussen könnte: der Parteitag der mitregierenden Freiheitsunion (US-DEU) am 26.-27. Juni im ostböhmischen Hradec Kralove (Königgrätz), die in den Europawahlen an der Fünf-Prozent-Wahlhürde gescheitert ist. Auf dem US-DEU-Parteitag soll auch die Frage des Verbleibs der Partei in der Regierungskoalition diskutiert werden. (APA)