Erwin Wurm zeigt, vertreten durch die Galerie Krinzinger, zur Sonderschau "Art Unlimited 2004", was alles zu dick werden kann: "Fat House" von 2003

Foto: Galerie Krinzinger
Jagdauftakt beim Welt-Topereignis unter den Messen für moderne und zeitgenössische Kunst: Seit vergangenem Dienstag ist die 35. Art Basel geöffnet. Erste Verkäufe lassen Rekordumsätze erwarten - und eine gesteigerte Sehnsucht nach konventionell gemalten Wertanlagen.


Basel - Galeristen am Rande des Nervenzusammenbruchs: Jetzt nur nicht Burda, Rodenstock, die Moët Chandons, Jil Sander und vor allem das Primärsegment "amerikanischer Großsammler" übersehen! Nicht der offizielle Vernissagebeginn der Art Basel um 16 Uhr bildet den Jagdauftakt beim absoluten Welt-Topereignis unter den Messeveranstaltungen für moderne und zeitgenössische Kunst. Bereits ab 11 Uhr (VIP-Ticket!) giert die in Basel überaus kaufbereite Spitzengruppe der Sammler dieser Welt danach, rote Punkte zu platzieren.

Basel wirbt im öffentlichen Raum derzeit mit dem Sommerereignis im Antikenmuseum: Tutanchamun. Das goldene Jenseits. Hier, im Kojengefüge der Messe mit seinen handverlesenen 270 Ausstellern aus 24 Ländern geht es fraglos um das goldene Diesseits. Gerade der amerikanische Käufer betrachtet sein Geld als Mittel, die schönen Dinge des Lebens zu erwerben, Geld nicht als abstrakte Anlagegröße zu betrachten. Dies erfährt man bei der Kölner Galerie Reckermann, die zum Auftakt ausschließlich an Amerikaner verkaufte: Fotoarbeiten von Georges Rousse und eine Collage von Mimmo Rotella.

Übrigens: 125.000 der New Yorker Haushalte gelten als reich - was bedeutet: Eine Mio. Dollar jährlich steht jeweils für den Kunsteinkauf zur Verfügung. Also eine Messe für Amerika? Sicherlich, im Vergleich zu Deutschland, auch der günstigeren Handelsverhältnisse in Sachen Mehrwertsteuer und Folgerecht wegen. Außerdem muss Amerika notgedrungen nach Europa kommen, um Spitzenofferten der europäischen Moderne und Kunstzeitgenossen in dieser Fülle anzutreffen.

Der Wiener Galerist Ernst Hilger, der heuer den frühen "Pariser" Hans Staudaucher um 100.000 Euro und einen ganz aktuellen Alechinsky (165.000 €) anbietet, hält die Art Basel mittlerweile für "spannender und besser " als die documenta oder die Venedig-Biennale, denn selbst das Spektrum der Gegenwartskunst stehe hier auf einem Prüfstand.

Die spektakulären Dinge finden vor allem im Parterre statt, zwischen Bacon und Twombly, Fontana und Basquiat, Warhol, Baselitz und Richter, Mondrian und Rothko - und heuer immer wieder Picasso. Das reicht vom Frauenkopf Sylvette (1954) bei Marlborough für um die zehn Mio. Dollar bis zu den drei Picassos im Hause Gmurzynska, entstanden zwischen 1931 und 1959, deren Mitnahme drei bis fünf Mio. Dollar erfordert. Apropos Dollars. Fragt man Tobias Mueller (Bischofsberger/Zürich) hinsichtlich der Währung einer Batterie fulminanter Basquiat-Werke (650.000 bis eine Million), so lautet die spontane Antwort: "Natürlich Dollar! Hier ist Amerika!". Matthias Rastorfer/Gmurzynska bringt die Ausstellervorteile dieser Ausnahme-Kunstmesse auf den Punkt: "Hier wird die qualitative Konkurrenz der Aussteller angeregt. Denn es steht ein Budget zur Verfügung, sich seitens der Messe aktiv zu bemühen, welche Sammler nach Basel kommen, den Berg zum Propheten zu bringen."

Ein Novum

Der letzte Basler Messetag ist in diesem Jahr ein reiner "Professional Day" und wird das Geschäft mit Museen und Sammlern nochmals steigern. Nicht minder hat das Auktionsergebnis von 104 Millionen Dollar für Picassos Gar¸con à la Pipe fraglos mit dazu beigetragen, Kunst für die nach Sachanlagen suchenden Upperclass-Investoren wieder sehr interessant zu machen.

Die Auftaktgeschäfte in Basel verliefen zumindest glänzend. Ein deutscher Top-Sammler, so erfährt man bei Hans Mayer/Düsseldorf, habe neulich seine Sammlung betont niedrig taxieren lassen: Die beste Investition über einen Zeitraum von 30 Jahren. Mayer liefert mit Dennis Hoppers Porträt des jungen Warhol auch einen der Eyecatcher.

Ein Trend?

Fraglos nimmt die Malerei zu, die Sehnsucht nach Bildern. Zwei verkopfte Kasseler documenten mögen ein Grund dafür sein, das wirtschaftlich bedrohliche Klima andererseits. Auffällig viel Malerei von einem Riesen-Berg-Format Herbert Brandls bei Nächst St. Stephan - einer von sieben Teilnehmern aus Österreich - bis zu Jonathan Meeses gestischen Figurenklumpen bei Contemporary Fine Art aus Berlin (14.500 €).

Harry Lübke von Eigen+Art aus Leipzig/Berlin hat sich auf Dauerstrahlen im blauen Nadelstreifen eingestellt. Kein Wunder, er hat Neo Rauch, den Shootingstar deutscher Malereimystik zwischen verquaster Altmeisterkunst und Werbeästhetik im Angebot - und teilt Rauch (um 170 000 €) unumwunden seinen Kunden zu: "Ich weiß, welches Bild in welche Sammlung passt."

Auch die Dresdner Galerie Lehmann war mit Absolventen der Dresdner HBK (Hochschule für bildende Künste) gleich zum Auftakt ausverkauft. Zu nennen sind Künstlernamen von Eberhard Havekost, Thoralf Knobloch, Frank Nitsche oder Olaf Holzapfel - ebenso starker Verkauf von Tim Eitel, Martin Eder und Matthias Weischer bei Eigen+Art.

Namen, die auch Frieder Burda, deutscher Supersammler und derzeitig Museumsgründer, als Künstler seines derzeitigen Interesses bestätigt. An ganz andere Zeiten erinnert da die Galerie Kewenig/ Köln, als der Schamane Joseph Beuys uns den erweiterten Kunstbegriff via soziale Plastik vermitteln wollte: "Nur noch 1017 Tage bis zum Ende des Kapitalismus", schrieb er 1984 auf eine Tafel. Verkaufspreis anno 2004: 350.000 Euro. Nicht nur der Kunstbegriff hat sich fraglos erweitert. Basel sei Dank? Bis 21. 6.
(DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe, 17.6.2004)