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Caroline Peters als Portier, Stefanie Dvorak als Zimmermädchen und Sophie Rois als brillante Schauspielerin. Szenenfoto im Rahmen einer Probe des Stücks 'Hallo Hotel ...' das am 18. Juni 2004 im Kasino am Schwarzenbergplatz in Wien Premiere haben wird.

Foto: apa/ROLAND SCHLAGER

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Der Autor und Regisseur René Pollesch hinterfragt in seinen Arbeiten gesellschaftliche Machtdiskurse ebenso luzide wie witzig. Auch den eigenen Arbeitsprozess. Gemeinsam mit den Schauspielerinnen Sophie Rois und Caroline Peters entwickelt er eine neue Theatersprache. Ab morgen im Kasino des Burgtheaters, mit "Hallo Hotel ...!" Das Trio im Gespräch mit Cornelia Niedermeier.


S TANDARD : René Pollesch, in Ihren Texten verarbeiten Sie, zur Untersuchung der Gegenwart, soziologische Texte in der Kombination mit Grundmotiven aus Filmvorlagen - die oft den Titel abgeben. Etwa "Frau unter Einfluss" nach John Cassavetes. Oder unlängst "Der Leopard von Singapur" nach Fritz Langs "Tiger von Eschnapur". Auch der Titel "Hallo Hotel . . .!" ist ein Zitat. René Pollesch: Es gab eine Serie in den Siebzigerjahren, die hieß Hallo - Hotel Sacher . . . Portier! . . . Sophie Rois: War meine Idee. Muss man wohl so sagen. Ausgegangen sind wir aber von dem Film Der Nachtportier von Liliana Cavani. Der Film spielt auch in einem Hotel in Wien. Das Hotel als Matrix für die Arbeit hat uns gefallen. Pollesch: Es gibt kleine Zitate von Plots oder Figuren. Es werden, ansatzweise, Geschichten erzählt. Aber sie werden nicht durchgeführt. Das ist auch nicht das Wesentliche an unserem Abend. Sie sind Vehikel, um andere Inhalte zu transportieren. S TANDARD : Welche Inhalte? Das Hotel als Ort loser Begegnungen? Caroline Peters: In einer Situation von Gefahr werden flüchtige Begegnungen geführt. Pollesch: Die Gefahr ist das Gefühl von Unsicherheit, das produziert wird. Der Staat kümmert sich nicht mehr um Sozialsysteme und produziert Sicherheit, sondern er gibt unausgesprochen Unsicherheit aus als eigentlichen Motor, an dem sich alle abarbeiten. Peters: Giorgio Agamben beschreibt in seinem Buch Ausnahmezustand, dass wir alle in einem solchen Ausnahmezustand leben, weil bestimmte Gesetze schon außer Kraft gesetzt sind, die eigentlich in einer Demokratie noch gelten. Das ist die Gefahr in unserem Stück. Nicht dass man von außen belagert wird in dem Hotel, wie in Nachtportier. Pollesch: Unsicherheit als Motor. Schlechter Service als Erlebnis. In dem Moment, wo man schlecht bedient wird, hat man eine Geschichte, hat man ein Erlebnis, Intensität. Rois: Wir bemühen uns schon, uns vor der Bewertung aufzuhalten. Es macht Spaß, solche Kombinationen zu finden: Intensität mit schlechtem Service gleichzusetzen. Statt dass man im Hotel den Kaffee auf dem Tablett kriegt, kriegt man ihn ins Gesicht. Und dann kriegt man gesagt: Das ist der bessere Service. Denn er ist so wahnsinnig intensiv. Und ich hatte tatsächlich ein intensiveres Erlebnis, das ich mir vorher nicht hätte träumen lassen. S TANDARD : Da wir uns den gesellschaftlichen Gegebenheiten gegenüber alle in einer ähnlichen Situation befinden, alle aufgefordert sind zu reagieren, gibt es in Ihren Stücken keine abgegrenzten Figuren. Peters: Die Positionen werden von mehreren geteilt. Und mitverhandelt. Die Gedanken sind für alle zugänglich. Man denkt öffentlich nach. Pollesch: Alle Schauspieler teilen den Inhalt. Peters: Das Handeln wird nicht psychologisch motiviert. Die ganzen Umschwünge, wie man von einer Stimmung in die andere kippt, sind immer vom Thema her motiviert. Man denkt als Schauspieler nicht wie sonst: Ich präsentiere den Satz, und du reagierst emotional darauf. Sondern man denkt durch die Sätze selbst über die Inhalte nach. Rois: Und daran, auf offener Bühne irre zu werden . . ., das ist ein guter Prozess. Oder für mich inzwischen ein notwendiger. Mir fehlt das inzwischen, wenn ich lange keinen Pollesch gespielt habe. Weil er für mich wirklich da ist, um mich zu orientieren. Wenn man eine Wirklichkeit, die man nicht mehr begreift, gemeinsam auseinander klaubt und zurechtrückt und versucht zu verstehen. Es gibt ja keine Versöhnung damit . . . Peters: Es gibt auch keinen Anfang und kein Ende. Es gibt nur immer ein Scharfstellen. Pollesch: Meine Erfahrung ist die gleiche. Das sind keine Texte, die andere belehren wollen, sondern Texte von jemandem, der sich selbst orientieren will. Deshalb spielt jeder die gleiche Rolle. Auch der Zuschauer. S TANDARD : Eine Weiterentwicklung der Brechtschen Idee des politischen Theaters. Rois: Ich glaube auch, René ist der einzig legitime Brecht-Nachfolger. Und der einzige zeitgenössische Volkstheater-Regisseur. Das ist wenigstens meine Vorstellung von Volkstheater: Da wird das Leben, das man selber führt, verhandelt. So geht es mir mit Renés Stücken. Da komme ich vor. Ich sehe mich sonst kaum repräsentiert im Theater. S TANDARD : Die Scharfstellung gesellschaftlicher Problemstellungen funktioniert, eher ungewöhnlich für das Theater, auch im Bereich Ihrer eigenen Zusammenarbeit. Rois: Ja. Wir haben ganz andere Prinzipien und Umgangsformen entwickelt. Pollesch: Wir versuchen es zumindest. Subjekte ganz weg vom Konkurrenzkampf sind wir nicht. Selbst in der Liebe muss man den anderen als Konkurrenz ernst nehmen - das ist ein Satz, der mich interessiert. Unsere Realität bei den Proben nehmen wir sehr ernst. Etwa, dass niemand einen Satz sagt, den er nicht sagen will. Solche Verabredungen versuchen wir zu unterlaufen. Peters: Damit ist man in jeder anderen Produktion eine Memme. Da heißt es: Wieso kannst du das nicht sagen? Du hast doch eine klare Anweisung von deinem Chef. Pollesch: Auch ich als Autor werde oft als Weichei betrachtet. Weil ich nicht das männliche künstlerische Subjekt bin, das durchsetzt, dass alle seiner Vision gehorchen. Peters: Es geht bei uns nie um Machtspiele. Es gibt am Theater sonst immer so wahnsinnig viele Metadiskussionen. Als Schauspieler weiß man, wann man gedemütigt wird. Und wann man jemand anderen demütigen muss. Dass der Regisseur sagt: Sag du mal den Satz auf, während du da unten aufwischst - weil da sieht sie keiner, hä hä hä. Das ist ein Machtspiel. Und nicht, weil es eine gute Szene wäre, wenn man den Satz spräche, während man am Boden kniet. Es geht um etwas anderes. S TANDARD : Manche strengen Theaterregeln sind aber wohl nicht außer Kraft zu setzen. Etwa die Pünktlichkeit. (Lachen der drei) Peters: Müssen wir nicht. Rois: Ganz toll war letztes Jahr. Da kam ich eine Stunde zu spät - und musste gleich wieder weg, weil bei mir zu Hause ein Wasserrohrbruch war. Das war mir echt peinlich. Und dann hat René gesagt: Ich finde es toll, wenn Alltag auf unseren Proben passiert. Und vor allem: Das meint er auch so. Pollesch: Wir müssen das wichtig nehmen, was außerhalb der Probe passiert. Dafür zu sorgen, dass die Wohnung nicht unter Wasser steht, ist wichtiger als eine Probe. Die Probe ist ja nicht heilig. Wir müssen die Realität nicht raushalten. Rois: Eigentlich ist uns alles, was hineinspielt, immer willkommen. Ab morgen im Burg-Kasino. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe, 17.6.2004) Zu den Personen Sophie Rois , geboren 1961 in Linz, ist neben zahlreichen Film- ("Die Siebtelbauern") und Hörbuch-Produktionen, Mitglied im Ensemble der Berliner Volksbühne. Caroline Peters , geboren 1971 in Köln, spielte zuletzt am Hamburger Schauspielhaus und in Zürich. Seit Anfang des Jahres ist sie Ensemblemitglied des Burgtheaters. René Pollesch , geboren 1961 in Friedberg/Hessen, Autor und Regisseur, leitet derzeit den Prater der Berliner Volksbühne. Zuletzt: "Telefavela", "Pablo in der Plusfiliale" in Recklinghausen. TV-Serie: "24 Stunden sind kein Tag".