Jede Form von Umverteilung ist dem Risiko ausgesetzt, als ungerecht empfunden zu werden - denn bei den Betroffenen stellt sich leicht das Gefühl ein, dass sie zu viel bezahlen müssen. Oder zu wenig herausbekommen. Manchmal auch beides. Wenn es um die eigenen Beiträge und eigenen Ansprüche geht, ist das Gerechtigkeitsgefühl eben manchmal getrübt.

Deswegen ist soziale Sicherheit eben nicht dem persönlichen Ermessen der Betroffenen, sondern der Sozialpolitik anvertraut: Politiker müssen in sich (und in ihre Parteigremien) gehen, um herauszufinden, was sie als gerecht empfinden - und dies dann mit Mehrheit umsetzen. Es ist klar, dass unterschiedliche politische Prinzipien und wechselnde Mehrheitsverhältnisse ganz verschiedenartigen Gerechtigkeitsvorstellungen zum Durchbruch verhelfen können. Und es ist offensichtlich, dass in den vier Jahren schwarz-blauer Sozialpolitik ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit und sozialer Treffsicherheit geherrscht hat als in den 30 Jahren rot geprägter Sozialpolitik. Aber die Regierenden waren sich dabei selbst treu: Schwarz und Blau haben im Prinzip gemacht, was man von ihnen erwartet hat.

Auch die Folgen - höheres Pensionsalter, geringeres verfügbares Einkommen im Alter, höhere individuelle Gesundheitskosten - waren im Prinzip beabsichtigt. Nur ist es halt nicht mehr ganz so einfach, sich an Leistungsprinzip, Eigenvorsorge- Bekenntnis und Treffsicherheits-Philosophien zu halten, wenn die Folgen eintreten und die Wähler darauf reagieren. Dann sind die Sozialpolitik und der Sozialminister im Besonderen gefordert, Prinzipientreue zu zeigen. Es bringt ja weder der Sache noch dem eigenen Ansehen beim Wahlvolk etwas, wenn man (wie bei den Krankenversicherungsbeiträgen der Pensionisten in diesem Winter) hektisch nachzubessern versucht. Die ÖVP hat das inzwischen erkannt. Der Sozialminister und sein Kärntner Einflüsterer haben es noch nicht gelernt. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2004)