Wien/London/Brüssel - Der Beschluss der EU-Verfassung ist nach Ansicht des verhandlungsführenden irischen Ministerpräsidenten Bertie Ahern ein "Meilenstein für die Entwicklung der EU". Die Verfassung mache die EU "transparenter und effizienter", sagte er am Freitag nach dem erfolgreichen Abschluss des Gipfels in Brüssel. Ahern und der scheidende EU-Kommissionspräsident Romano Prodi riefen angesichts anstehender Volksabstimmungen dazu auf, das Grundgesetz den Bürgern verständlich zu machen.

Das Endergebnis bringe einen Gewinn für alle Mitgliedstaaten, er habe versucht den Sorgen aller Delegationen entgegenzukommen, betonte Ahern. "Wir haben ein Gleichgewicht gefunden, das niemanden übervorteilt." Die Kompromisssuche sei schwierig gewesen. "Das war Knochenarbeit", sagte der irische Ministerpräsident. Es habe sich gezeigt, dass kleinere EU-Staaten eine gute Arbeit im EU-Vorsitz leisten können.

Volksabstimmungen

In Hinblick auf die bevorstehenden Volksabstimmungen über die Verfassung in mehreren EU-Staaten erinnerte Ahern an das Nein der irischen Bevölkerung zum EU-Vertrag von Nizza. Er habe damals gelernt, dass es notwendig sei, einen EU-Vertrag der Bevölkerung nahe zu bringen. Auch Prodi warnte, dass die Verfassung "wie alle großen Veränderungen Angst auslösen wird", daher müssten die EU-Regierungen weiter Überzeugungsarbeit leisten.

Der scheidende Präsident des Europaparlaments, Pat Cox, sieht im Beschluss der Verfassung "den ersten Beweis, dass die Union der 25 gemeinsam arbeiten kann". Ahern und sein Team wurde zum Abschluss des Gipfels von allen Staats- und Regierungschefs mit stehenden Ovationen gefeiert, schilderte Cox.

Blair: Erfolg für Großbritannien

Der britische Premierminister Tony Blair hat den EU-Verfassungsgipfel als "vollen Erfolg für Großbritannien und Europa" gewertet. "Wir haben genau bekommen, was wir haben wollten", sagte Blair unter Hinweis auf die von ihm vor den Verhandlungen gezogenen "roten Linien". Dafür habe er keine Zugeständnisse machen müssen. Blair würdigte den Beginn eines "neuen Europa der Kooperation, aber ein Europa der Nationalstaaten." Es gebe keinen Konsens für einen "föderalen Superstaat".

Schüssel: Verfassung wird Grundlage für besseres Europa

Die am Freitag Abend beschlossene Verfassung werde zu einem besseren Europa beitragen. Das Ergebnis, dem die Staats- und Regierungschefs schließlich zustimmten, entspreche der mit allen Parteien im Parlament abgestimmten Position Österreichs und könne er gut vertreten, sagte Bundeskanzler Schüssel am Abend. Auch die Nicht-Einigung am Gipfel im Dezember sei im Nachhinein besehen "kein Scheitern sondern ein Innehalten" gewesen.

Schüssel wies auf zahlreiche Verbesserungen hin, die durch die Verfassung nun kommen würden: Die verbindliche Verankerung der Grundrechtecharta, der EU-Außenminister, die Rechtspersönlichkeit für die Union oder die Gleichheit der Mitgliedstaaten. Es werde nun in 25 zusätzlichen Bereichen Mehrheitsentscheidungen geben, der Schutz der Minderheiten und die Gleichstellung von Mann und Frau seien abgesichert. Die Gruppe der Länder mit gleichen Interessen habe bis zuletzt zusammen gehalten und gemeinsame Vorschläge eingebracht, betonte Schüssel.

Zahl der Kommissare

Zwar werde mittelfristig die Zahl der Kommissare auf zwei Drittel der Zahl der Mitgliedsländer sinken, doch könne dieser Anteil vom Europäischen Rat einstimmig verändert werden, erinnerte Schüssel. Wenn die Kommission mit 25 Mitgliedern bis dahin perfekt funktionieren sollte, dann "gibt es kein Argument, dass man reduzieren muss". Durch die Klausel gebe es "ein Instrument, mit dem wir weiter arbeiten können". "Eher psychologisch wichtig" ist aus Schüssels Sicht jene Klausel, wonach bei Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit mindestens 15 Mitgliedsländer mit stimmen müssen. Dies sei eine Absicherungsklausel. Für Österreich sei die Grundregel, dass 55 Prozent der Länder die zugleich 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren für eine Mehrheitsentscheidung ausreichen ein guter Kompromiss.

Der Beschluss über den Kommissionspräsidenten sei "heute nicht mehr möglich" gewesen. Aus seiner Sicht sei die Bestellung eines Nachfolgers für Romano Prodi ohnehin ein so großes Thema, dass es eine eigene Gesprächsrunde rechtfertige. Die Organisation eines solchen Treffens obliege dem irischen Ratsvorsitz.

Voggenhuber "Nationaler Interessenbasar"

"Eine gewaltige Chance Europas zu viel Größerem wurde vertan." Mit diesen Worten kritisierte der Grüne Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber in einem Interview mit der Tageszeitung "Kurier" (Samstagsausgabe) die neue EU-Verfassung. Voggenhuber, Mitglied im Verfassungskonvent, sprach in dem Interview, das noch vor der offiziellen Entscheidung beim EU-Gipfel Freitag Abend über den Verfassungsvertrag gemacht wurde, von einem "Sündenfall".

"Büchse der Pandora"

Mit ihren Änderungswünschen hätten die Staats- und Regierungschefs die "Büchse der Pandora geöffnet". Da seien alle "europäischen Krankheiten" heraus gekommen: "Egoismus, Nationalismus, Feudalismus und Eigenbrötelei".

Für Voggenhuber hat die Verfassung den "historischen Makel", dass sie letztendlich von Regierungen gemacht sei und nicht vom Konvent: "Wenn man eine chronisch erfolglose Methode wie die Regierungskonferenz mit einer erfolgreichen Methode wie dem Konvent verbindet, wird das Ergebnis zwangsläufig negativ. Das ist eine mathematische Folge."

"Nationaler Interessenbasar"

Der "nationale Interessenbasar" habe durchwegs zu Rückschritten geführt. Europa sei "weniger demokratisch, weniger sozial und weniger handlungsfähig". Beim Gezerre um die Kommission habe die österreichische Bundesregierung "ein besonders übles Spiel" getrieben.

Den EU-Gipfel in Brüssel bezeichnet der EU-Mandatar als "Villa Kunterbunt": "Zuerst wird über die Verfassung geredet, dann über den Präsidenten, dann wieder über die Verfassung, mit dem Ziel möglichst viel abzutauschen. Dafür ist die Verfassung zu schade."

Einem: "einige entscheidende Fortschritte"

Der SPÖ-Europasprecher Nationalratsabgeordneter Caspar Einem hat die Beschlussfassung über die EU-Verfassung begrüßt. Einem sieht laut einer Pressemitteilung vom Samstag "einige entscheidende Fortschritte", bedauert jedoch, dass "viele Hoffnungen unerfüllt geblieben sind". Die Staats- und Regierungschefs haben nach Ansicht des Vertreters der SPÖ im EU-Konvent deutlich gemacht, dass es ihnen nicht in erster Linie um die Menschen, sondern um nationale Vorteile und Machtkämpfe gehe. "Leider ist dadurch die vom Konvent vorgeschlagene Verfassung insgesamt und die Transparenz der Entscheidungsprozesse im Besonderen verwässert worden", meinte Einem.

Rechtsverbindlichkeit

Als positiv hob der SPÖ-Politiker und ehemalige Innen-, Verkehrs- und Wissenschaftsminister laut der Aussendung unter anderem hervor, dass die europäische Grundrechtscharta rechtsverbindlich werde und erstmals auch soziale Grundrechte beinhalte. Außerdem werde das europäische Parlament deutlich gestärkt und könne künftig dafür sorgen, dass die Bürger in der europäischen Gesetzgebung das letzte Wort hätten.

Nach Ansicht Einems sollte darüber nachgedacht werden, ob die Methode der Regierungskonferenz bei künftigen Verfassungsänderungen wieder zur Anwendung kommen soll. "Dieser Verhandlungsprozess tendiert zum Kuhhandel und dazu, dass sich die Staats- und Regierungschefs nicht über jene Fragen unterhalten, die für die Bürgerinnen und Bürgern wichtig sind", meinte der SPÖ-Europasprecher. Stenzel: "Großer und richtiger Schritt"

Die ÖVP-Delegationsleiterin im Europäischen Parlament (EP), Ursula Stenzel, hat die Verabschiedung der EU-Verfassung als "großen und richtigen Schritt" zur nachhaltigen Sicherung des Friedensprojektes Europa bezeichnet. Das Parlament könne nun gestärkt in die Zukunft blicken. "Die Union wird durch diese Verfassung bürgernäher, demokratischer und effizienter arbeiten können. Unsere Aufgabe wird es sein, diese Vorteile den Bürgerinnen und Bürgern ausreichend zu kommunizieren und näher zu bringen", sagte Stenzel.

Neben Verbesserungen wie der Installation eines EU-Außenministers oder der Festlegung der Gleichheit der Mitgliedstaaten begrüßte Stenzel besonders die verbindliche Verankerung der Grundrechtscharta und den Schutz der Minderheiten in der Verfassung. "Angesicht der internationalen Entwicklungen und der Tatsache, dass wir nahezu täglich mit Terror und Folter konfrontiert sind, müssen wir hier eine klare und gemeinsame Position beziehen, und das haben wir getan", meinte die Politikerin. (APA/dpa)