Ich finde es gut, dass Andreas Mölzer das EU-Mandat für die FPÖ gewonnen hat. Es ist eine Rückkehr zur Wahrhaftigkeit und klärt die Frage, was diese Partei eigentlich ist. Antwort: eine Rechtsaußenpartei mit sechs Prozent Wählerzustimmung. Das ist in der Demokratie o.k. Damit kann man leben.

Problematischer war der bisherige Zustand, als das FPÖ-"Kernlager" durch eine Fülle von orientierungslosen Wählern aufgepolstert war, die mit der Parteiideologie wenig zu tun hatten, sich aber - oft zu Recht - von anderen Parteien nicht vertreten fühlten. Ewald Stadler, "wahrer Freiheitlicher" und führender Mann des Mölzer-Personenkomitees, sagte es im NEWS-Interview mit dankenswerter Klarheit: In einer pluralistischen Demokratie wird man für seine Positionen gewählt und nicht dafür, dass man keine hat.

Stimmt. Spätestens am 13. Juni sind auch die Wähler draufgekommen, dass sie von dem Füllmaterial, mit dem die FPÖ jahrelang ihre Kernbotschaft garniert hatte, auf die Dauer nicht leben können - weder von dem Kleiner-Mann-Getue, das mit der gleichzeitig erhobenen Forderung nach einer Flat Tax kaum kompatibel war, noch von den als Lockkandidaten aufgestellten ahnungslosen Sportgrößen, noch von den Bekenntnissen zum Tierschutz, mit dem in Wirklichkeit vor allem das die Juden treffende Schächtungsverbot gemeint war.

Jetzt ist die Katze aus dem Sack. FPÖ wählt man, wenn man gegen Umvolkung, gegen Rassenvermischung und für eine ethnisch reine deutsche Kultur ist. So weit, so gut. Aber was ist mit den vielen anderen, die bisher dieser Partei ihre Stimme gegeben haben und jetzt entweder nicht gewählt haben oder bei Hans-Peter Martin gelandet sind? Lange wird sie der Spesenaufdecker nicht halten können. Alle diese Leute sind mit dem herrschenden System und ihrem eigenen Platz darin auf eine vage Weise unzufrieden und sind auf der Suche nach jemandem, der ihre Probleme erkennt und ihnen zu ihrem Recht verhilft.

Sie sind leichte Beute für Demagogen, nicht nur bei uns, sondern auch in praktisch allen anderen Ländern der Europäischen Union. Kann man es den verelendeten polnischen Bauern verübeln, wenn sie die populistische "Selbstverteidigungs"-Partei von Andrzej Lepper wählen? Den arbeitslosen tschechischen Bergarbeitern, wenn sie die Kommunisten unterstützen? Den von Kriminalität geplagten Bürgern von Marseille, die Le Pen ihre Stimme gaben?

Gemeinsam mit den Millionen Nichtwählern, die jede Hoffnung auf demokratische Mitbestimmung schon aufgegeben haben, bilden sie ein flottierendes Stimmenreservoir, das der Demokratie eines Tages noch sehr gefährlich werden könnte. Die Benachteiligten zu vertreten, war seit eh und je Aufgabe und Privileg der Linken. Das scheint diese in den letzten Jahren verlernt zu haben. Nicht nur, weil überall gespart werden muss, sondern auch, weil es die europäischen Sozialdemokraten (möglicherweise mit Ausnahme der spanischen) nicht geschafft haben, den Menschen in der Welt der globalisierten Wirtschaft eine Perspektive zu geben.

Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas sagt von ihnen, dass sie "in den globalen Räumen wie die Blinden herumtappen". Das ist eine beunruhigende Diagnose. Viele von uns freuen sich, dass die FPÖ als bestimmende politische Kraft fürs Erste ausgeschaltet ist. Hans-Peter Martin, der sie vorderhand beerbt hat, hat seine Fehler, aber ein Rassist ist er nicht. Aber wir sollten uns nicht zu früh freuen. Den enttäuschten Wählern der FPÖ müsste bald ein ernsthaftes demokratisches Angebot gemacht werden, jenseits von populistischen Anbiederungen. Sonst könnte früher als gedacht der nächste Haider daherkommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2004)