Nicht der nach seinem Tode so hoch gepriesene Ronald Reagan, sondern Bill Clinton war der populärste Präsident der vergangenen Jahrzehnte, wies Paul Krugman, Kolumnist der der New York Times, vor kurzem nach. Trotz verlorener Mehrheit im Kongress, Dauerattacken von der Rechten und die Sex- und Lügenaffäre um Monica Lewinsky hatte Clinton in seinen acht Jahren meist ausgezeichnete Umfragewerte und wäre wohl - hätte er wieder antreten dürfen - 2000 wiedergewählt werden.

Auch als Kommunikationstalent konnte Clinton dem Ex-Schauspieler Reagan das Wasser reichen - mit dem Unterschied, dass sein Zauber in der persönlichen Begegnung noch stärker herüberkam als im Fernsehen. Und ähnlich wie Reagan war auch Clinton als Person ein politisches Programm - der Fleisch gewordene "Neuer Demokrat", der seine Partei in die Mitte führte und sie mit der Wirtschaft aussöhnte. So gesehen waren die missglückte Gesundheitsreform und andere interventionistische Projekte seiner ersten beiden Amtsjahre Ausrutscher - erst die Niederlage bei den Kongresswahlen 1994 hat Clinton auf jenen moderat-konservativen Kurs getrimmt, der zum Markenzeichen seiner Präsidentschaft wurde.

Zum Ärger der Republikaner übernahm er weite Teile deren Programms, etwa die Totalreform der Sozialhilfe, und verkaufte sie als sein eigenes Werk. Sie rächten sich mit Sonderermittlungen und Impeachment, mit denen sie Clintons Präsidentschaft zwar zeitweise lähmten, aber letztlich am taktischen Geschick, der starken Wirtschaft und der anhaltenden Beliebtheit des Amtsinhabers scheiterten. Clintons äußerst pragmatische innenpolitische Philosophie ist daher in diesen Tagen eine starkes Gegengewicht gegen die ideologisch wohl radikalste Präsidentschaft der letzten hundert Jahre.

Doch in der eigenen Partei bleibt Clintonismus weiterhin ein Minderheitsprogramm. Schon Al Gore hatte sich im Wahlkampf 2000 von der Bilanz der gemeinsamen Jahre distanziert - ein wichtige Faktor für seine Niederlage. Auch John Kerry scheint noch nicht bereit, das Erfolgsrezept des ersten Demokraten seit Franklin D. Roosevelt, der die Wiederwahl schaffte, zu übernehmen und setzt stattdessen immer wieder auf wirtschaftlichen Populismus, der zwar bei den eigenen Parteiaktivisten, nicht aber bei Wechselwählern ankommt.

Unklar bleibt daher, ob Kerry aus der neu angefachten Clinton-Begeisterung mehr Nutzen ziehen kann als George W. Bush aus der kurzzeitigen Reagan-Nostalgie. Der Expräsident hat sein Buch auch deshalb schnell (und offenbar recht schlampig) fertig geschrieben, damit die Veröffentlichung nicht direkt in das Wahlkampffinale fällt. Aber in den kommenden Tagen und Wochen werden Beobachter nicht nur den hölzernen Redestil des Bush-Herausforderers mit dem des Sonnyboy aus Arkansas vergleichen, sondern auch ihre politische Programme. In der außenpolitischer Expertise ist Kerry Clinton sicherlich überlegen. Aber für seine innenpolitische Positionierung kann Kerry Schlechteres tun, als seinen Clinton genau zu lesen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2004)