Anflug auf die Inseln. In der Maschine wird das Essen ausgeteilt. Erste Überraschung: nicht britisch fad, sondern g'schmackig und ein guter Rotwein - Tessiner Wochen! Landung in Jersey, Auschecken, zweite Überraschung: Es ist heiß. "Hitzewelle", stöhnen die Leute am Flughafen. Fahrt zur Mietauto-Zentrale, Schock: Die fahren wirklich links! Ein kleiner, funkelnagelneuer, knallroter Japaner erwartet uns, und das Mitschwimmen im Verkehrsfluß gelingt - dritte Überraschung - hervorragend. Die Mietautos sind mit unübersehbaren "H's" (für "hired") gekennzeichnet, und alle nehmen Rücksicht - auf die Ausländer, aber auch die Einheimischen untereinander. Höchstgeschwindigkeit: 40 mp/h (64 km/h) und - Überraschung - alle halten sich daran. Ab da wurden dann keine Überraschungen mehr registriert, es waren allmählich zu viele.

Gemeinsam haben die Inseln - neben Jersey, Guernsey, Alderney, Herm und Sark gibt es unzählige bewohnte und unbewohnte Mini-Inselchen - einiges: Sie gehören zu Großbritannien und auch nicht. In insularer Lesart gehört nämlich Großbritannien zu ihnen. Da sie sich als feudalistisches Überbleibsel des Herzogtums Normandie sehen, das einstens (1066, Schlacht bei Hastings) England erobert hat, ist Großbritannien rechtens ihre Kolonie. Logisch, oder?

Gemeinsam ist auch, daß sich jede einzelne als das Juwel im Insel-Diadem sieht; daß zwar Englisch gesprochen wird (die "Anglisierung" der Inseln erfolgte erst im 20. Jh., bis dahin wurde ein französisches Patois gesprochen), aber Französisch teilweise noch Amtssprache ist, Straßen-, Flur- und Hausnamen und viele Familiennamen klingen französisch; daß die Küche ausgezeichnet ist (auch hier ist der französische Einfluß unüberschmeckbar - die Gaben des Meeres sind göttlich); daß Kriminalitäts- und Arbeitslosenrate gegen Null tendieren; daß es überall blitzsauber aufgeräumt ist, Wasser und Luft glasklar (es wird geraten, starke Sonnenschutzmittel zu verwenden, da keine Luftverschmutzung die UV-Strahlen filtert); daß alle immer Zeit zu haben scheinen und daß liebevolle Neckerei das Miteinander der Inseln bestimmt. Fremdenverkehrsverbände gibt es beispielsweise so viele wie größere Inseln, nämlich fünf.

Jersey

Die größte der Inseln: 86.000 Einwohner, 116 km², das sind 14,5 km Länge und acht Kilometer Breite. Zirka. Denn die Fläche ändert sich mit den Gezeiten: Zehn Meter durchschnittlicher Tidenhub, oft auch 13 m (auf allen Inseln), verändern die Küstenlinie gewaltig. Weite, relativ leere, saubere Strände - südliches Sardinendosenfeeling ist von einer anderen Welt -, Modelleisenbahn-Städtchen, normannische Stein-Bauernhäuser, Lavendelfelder, hüfthohe Rosmarin-Kugeln, enge Straßen, beidseitig gerahmt von alten Mauern oder akkurat geschnittenen Hecken, Jersey-Kühe (braun-weiß gefleckt mit braunen Mäulern), Dolmen (neolithische Kultstätten), darauf Kapellen aus der ersten Phase der Christianisierung (1100 n. Chr.), napoleonische Wehrtürme und Nazi-Betonbunker (rund eine halbe Million Kubikmeter Stahlbeton wurde auf den Inseln verbaut) - alles bequem in einem halben Tag zu sehen. Eine Puppenstuben-Welt, die so modern und lebendig ist wie eine Großstadt. Nur nicht so hektisch.

Der 15-Minuten-Flug von Jersey nach Guernsey ist ein Abenteuer für sich: die maximal 15 Passagiere werden auf dem Rollfeld neben dem knallgelben Flieger der Aurigny-Airlines nach Sitznummern in Vierergruppen aufgerufen, jede von ihnen teilt sich einen Einstieg (die Sitzlehnen werden für die "Hinterbänkler" wirklich umgelegt), der 15. sitzt neben dem Piloten. Der Start erfolgt mit offenem Seitenfenster, und 800 m über dem Meer wird die kurze Distanz überwunden.

Guernsey

Die nächstkleinere Insel, 55.000 Einwohner, 62 km² groß und eher dreieckig. Ähnlich wie Jersey, nur park-artiger, grüner, die Straßen noch enger, das Tempo noch langsamer, und die braun-weiß gefleckten Kühe haben rosa Mäuler. Rhododendron-Büsche, Fuchsien-Bäume, Palmen, nicht im Topf wie bei uns, sondern wirklich und wahrhaftig in die Erde gepflanzt. Traumhaft schöne Häuser, aber nur 2000 sind für Ausländer zu kaufen. Der Kaufpreis dafür ist weit höher als auf dem "local market" - und der liegt schon auf Londoner Niveau. Aufenthalt gibt es nur für den, der ein Haus oder eine Wohnung hat - Zuwandererkontrolle auf kanalinsulanisch. Geld liegt in der Luft - aber Geld stinkt bekanntlich nicht. Victor Hugo hatte ausreichend Geld - er verbrachte 15 Exiljahre in Guernseys Hauptstadt St. Peter Port. 23 Buchten bieten ausreichend Sportmöglichkeiten, es gibt immer eine, wo der Wind gerade nicht hineinbläst und immer eine, wo es perfekten Wind fürs Windsurfen oder Wellenreiten gibt. Derzeit werden 9000 Gästebetten angeboten, ein Abbau um 1000 mit gleichzeitiger Qualitätsverbesserung der verbleibenden ist im Gange.

Sark

650 Einwohner, 4,8 km lang, 2,4 Kilometer breit, in einer Stunde mit dem Fahrrad zu umrunden - wenn man sich traut, die schmale "Coupée", die Verbindung zu Little Sark zu überqueren -, keinerlei Autos, nur Traktoren, einige motorisierte Rollstühle, viele Pferdekutschen, gezogen von mächtigen Kaltblütern mit langen Haaren an den Fesseln, und noch viel mehr Fahrräder. Regiert wird die Insel vom Seigneur of Sark (er darf als einziger auf der Insel Tauben und nicht-sterilisierte Hündinnen halten) und einem lokal gewählten Parlament. Und die haben dafür gesorgt, daß kein Auto auf die Insel darf und kein Flugzeug Überflugs- geschweige denn Landeerlaubnis erhält.

Herm

55 Einwohner (neun Kinder werden in der kleinen Volksschule unterrichtet), 140 Herm-Kühe (wenn eine die Insel verläßt, darf sie nie mehr zurück), ein romantisches Hotel namens "White House", ein ungenützes Ein-Mann-Gefängnis und einige Selbstversorger-Häuser, ein Traktor, ein paar Dreirad-Buggies, ansonsten nur Fußgänger auf dem drei Quadratkilometer großen Inselchen, das in zwei Stunden zu umwandern ist. Die Einkaufslisten sowohl der Inselbewohner als auch der Gäste werden mittwochs nach Guernsey gefaxt, am Freitag liefert das Fährboot das Gewünschte, und ein Buggy bringt alles bis vors Haus. Blumenpflücken ist streng verboten und die ganze Insel daher verwachsen von mannshohen Farnen, Brombeerranken und unzähligen wilden Blumen - ein Paradies im Frühsommer, wenn alles blüht. Märchenhaft (ganzjährig!) der Ausblick von den schmalen Klippenpfaden. Für Muschelsammler ein heißer Tip ist der Shell-Beach (Muschel-Strand), wo der Golfstrom Abermilliarden kleiner Muscheln - von der Jakobs- bis zur Kauri-Muschel - anschwemmt.

Der Aufenthalt im Paradies ist leider immer befristet, auch wenn man Meeres-Früchte den Apfelbaum-Früchten vorzieht. Abflug von Guernsey, weiche Landung. "Captain Spechtig und seine Crew verabschieden sich und wünschen . . . ." Mein klügeres Ich, das, das diskreten Luxus, Kaminfeuer, Calvados und Kauri-Muscheln liebt, ist auf Guernsey geblieben und wartet dort auf mich. (Der Standard, Printausgabe)