"Der Sache auf den Grund gehen" will Filmregisseur Heinrich Breloer mit seinem Dokudrama "Speer und Er": Tobias Moretti als Hitler, Sebastian Koch als Speer.

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Erhielt Grimme-Preis für "Die Manns": Filmregisseur Heinrich Breloer

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In Köln fiel die letzte Klappe zu Heinrich Breloers TV-Dokudrama "Speer und Er". Mit Doris Priesching sprach er über Verführung, den "subjektiven Faktor" und die wechselnden Gewänder von Hitlers Rüstungsminister.

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Als Heinrich Breloer den ehemaligen NS-Chefarchitekten und Rüstungsminister Albert Speer 1981 zu einem Gespräch traf, bekam er dessen Verführungskünste am eigenen Leibe zu spüren. Gleich sein gesamtes Material wollte der ihm zur Verfügung stellen, erzählt Breloer. Als Menschen von "sehr einnehmendem und gewinnendem Wesen" erlebte Breloer seinen Gesprächspartner. "Rätselhaft." Zu mehr kam es vorerst nicht, Speer fuhr nach London und starb kurze Zeit später.

Wiederum ist es der "subjektive Faktor", den Heinrich Breloer auch in seinem neuen TV-Projekt Speer und Er interessiert und der ihn seit mehr als zwanzig Jahren dazu bringt, Zeitgeschichte stets auch als Geschichte von Einzelpersonen zu denken. 125 Stunden Dokumentar- und Interviewmaterial hat Breloer gesammelt, wie schon in Todesspiel oder zuletzt in Die Manns greift Breloer auf die von ihm als "offene Form" bezeichnete Genre des Dokudramas zurück. Zeitzeugen und Spielszenen wechseln einander ab und formen sich doch zu einem Gesamtbild.

"Gesteuert" habe Speer ihn, Breloer, seither: "Jetzt versuche ich der Sache auf den Grund zu gehen." Der ORF zeigt Speer und Er im Frühjahr 2005.

STANDARD: Wie "Todesspiel" oder "Die Manns" wird auch "Speer und Er" ein mit Zeitzeugen-Interviews angereichertes Dokudrama. Ist das heute die einzige Möglichkeit, Zeitgeschichte einem Massenpublikum schmackhaft zu machen?

Heinrich Breloer: Ich sehe darin die Möglichkeit, den Zuseher in eine Figur zu verwickeln, der er zwei, drei Abende folgt und die er so vielleicht noch nicht gesehen hat.

Adolf Hitler war kein zappelndes Monster aus der Wochenschau, er konnte charmant sein. "Nehmen S' doch noch ein Stückerl Kuchen, Herr Speer, so gehen S' mir nicht aus dem Haus." Für die, die er mochte, war er bezaubernd und hatte verführerische Autorität.

STANDARD: Die Dämonisierung hat aber doch auch ihre Funktion. Ist es nötig, Menschliches an Hitler zu zeigen?

Breloer: Wie spielt man ein Monster? Schwanz und Hörner weg, dafür mit den Augen grollen? Das ist ein Medien-Hitler, der unter dem pädagogischen Tabu bis heute in Spielfilmen nur im Dunkeln auftauchte. Wenn er nur das gewesen wäre, hätte er die Menschen niemals verführen können.

STANDARD: Haben Sie die "offene Form" in "Speer und Er" im Vergleich zu Ihren früheren Arbeiten verändert?

Breloer: Es geht diesmal viel mehr in Richtung Spielfilm, die Dokumente werden diesmal mehr noch als bei den Manns, die Gegenwärtigkeit des Vergangenen aufscheinen lassen. Das Problem wird sich uns nun stellen, wenn wir in den Schneideraum gehen.

STANDARD: Wann haben Sie entschieden, über Albert Speer einen Film zu drehen?

Breloer: Ich musste mir mit Todesspiel und den Manns erst die Kompetenz dazu erarbeiten, so einen großen Film zu machen. Vor allem aber: Ich musste Speers Kinder erst dafür gewinnen, die Geschichte zu erzählen. Es ist ja ein Film über die Bundesrepublik und ihre Gespenster, die in den Gesichtern der Kinder sofort lebendig werden. Sie gingen mit mir auf die unbekannte Reise, die vom Vater vernagelten Türen zum Dritten Reich noch einmal aufzumachen und unbekannte Räume zu betreten.

STANDARD: Nicht alle sechs Kinder Speers waren damit einverstanden.

Breloer: Drei waren überhaupt nicht bereit, über ihn auch nur ein Wort zu sagen. Ich erhielt vorsichtige bis höfliche bis ganz schroffe Ablehnung.

STANDARD: Was die Besetzungsliste betrifft, so wagen Sie einiges. Tobias Moretti hat die Rolle Hitlers bekommen, weil er, wie Sie sagen, "den glutäugigen Charme eines österreichischen Oberkellners" hat.

Breloer: Auch weil er dieses braune Geraune aus dem Zwerchfell großartig hingekriegt hat. Er verwandelte sich, dass einem die Gänsehaut kam. Plötzlich leuchtete ein einzelnes Auge durch ein Unterlicht auf und man konnte glauben, dass er Menschen verzaubern konnte. Und dass sie mit ihm gingen, über alle Schwellen von Moral, Sitte und Anstand, weit in ein Reich der Barbarei von Blut und Mord.

STANDARD: Albert Speer mit Sebastian Koch zu besetzen könnte man zumindest als riskant bezeichnen.

Breloer: Es war ein Risiko, aber ich bin sehr zufrieden. Koch ist Speer unglaublich nahe gekommen.

STANDARD: Wie sehr haben Sie sich von Joachim Fests Biografie leiten lassen?

Breloer: Als Muster, um sie zu überprüfen. Wir sind dem nachgegangen und brechen diese Biografie in gewisser Weise über die Realität. Im Spiel und im Dokument, sodass die Widersprüche sichtbar sind und sich das Speer-und Hitler-Bild neu formt. Es ist sicher nur ein Anfang, die Wissenschaft wird sich dem annehmen müssen.

STANDARD: Im Gefängnis hat Speer angeblich Thomas Manns "Buddenbrooks" gelesen und sich auf seine Herkunft zurückbesonnen.

Breloer: Er hat sich das Gewand angezogen und auf Buddenbrooks gemacht. Ob das wirklich so war, wird man sich erst genauer anschauen müssen. Ich glaube eher, dass die Raupe Speer im Gefängnis ziemlich viele Bücher gefressen hat und dann zum Schmetterling wurde, als er raus kam. Es war auch für ihn genial, sich danach ein neues Leben zu besorgen, Bestsellerautor zu sein. Wenn auch immer mit der großen Geste des Büßers an der Rampe, der die Augen verdreht: "Mea culpa." Das war nicht glaubwürdig, weil nicht gefühlt.

STANDARD: Fests Biografie wurde oft als zu freundlich kritisiert. Stimmen Sie zu?

Breloer: Ich kritisiere Fest nicht. Er wird zu unserem Film ein Buch veröffentlichen, in dem er seine Irrtümer aufschreibt. Er weiß inzwischen, wo Speer ihn belogen hat. Vielleicht hätte er historische Recherchen anstellen müssen, aber Speer hätte ihm dann wahrscheinlich nicht die Unterlagen gegeben.

STANDARD: Denken Sie schon an ein nächstes Projekt? Breloer: Ich denke daran, aber ich denke nicht daran, darüber zu sprechen. Das bringt Unglück. (DER STANDARD; Printausgabe, 23.6.2004)