Tiflis/Wien – Der Staatsminister empfängt in Jeans und Lederweste, im dritten Stock eines schlecht erleuchteten Gebäudes am "Platz der Freiheit" im Zentrum von Tiflis. "Ich habe ihnen gesagt, ich bin nur mit dabei bei euch, wenn ich das behalten kann", erklärt Goga Khaindrawa, der jetzt "Minister für Konfliktlösung" in der Reformer-Regierung von Georgiens Premier Surab Schwanija ist, und zeigt auf seine Kleidung.

Eigentlich ist Khaindrawa Fotograf und Filmemacher. Ein Dokumentarfilm über den Bürgerkrieg in Abchasien Anfang der 90er-Jahre hat ihn zu einer gewichtigen Stimme in der Frage der abtrünnigen Provinzen in Georgien gemacht, die in einem Kreislauf von organisierter Kriminalität, korrupten Behörden in Tiflis und militärischer Unterstützung aus Russland den Zentralstaat zugrunde richteten. "Diese Situation kann nicht ewig dauern", sagt Khaindrawa, "eines Tages wird Schluss sein. Aber jetzt sind wir noch bei den Angeboten und friedlichen Verhandlungen."

Mehrfach hat Staatschef Michail Saakaschwili seit seinem Amtsantritt vor fünf Monaten Abchasen und Osseten einen Handel vorgeschlagen und zum Teil detaillierte Pläne für eine föderale Lösung vorgelegt. "Ich liebe euch alle", sagte er in seinem ihm typischen Überschwang. Südossetiens Führer, der Geschäftsmann Eduard Kokoiti, und Abchasiens "Präsident", der kranke Wladislaw Ardsinba, wiesen die Angebote im Handumdrehen zurück.

Es gibt Beobachter in Tiflis, wie Alexander Russetzki, den Leiter des Südkaukasus Instituts für regionale Sicherheit (SCIRS), die meinen, Saakaschwili und seine Regierung packen das Abchasienproblem grundsätzlich falsch an. Tiflis müsse gleich mit Moskau verhandeln und nicht allein mit Suchumi, der Führung in Abchasiens Hauptstadt. Zudem seien die Vertreter der 300.000 Flüchtlinge außerhalb der Provinz als gleichberechtigte Partner anzuerkennen. Doch auch sonst gibt es manche Einwände gegen die jungen Reformer – ungeachtet des Charismas und der Energie Saakaschwilis, die westliche Diplomaten wie die Georgier loben.

Die politische Unerfahrenheit der Minister, die aus verschiedenen NGOs an den Kabinettstisch wechselten, und die große, aber rasch zusammengewürfelte Parlamentsfraktion der Regierung nach dem Erdrutschsieg im März gelten als das größte Handikap der Reformer. Unsicher ist vor allem, ob sie ihren Feldzug gegen die Korruption in Wirtschaft und Staat durchhalten.

Millionenkredite

Die Finanzhilfe für das neue Georgien ist dabei enorm: Ein Drittel des georgischen Staatshaushalts in diesem Jahr stammt aus ausländischen Mitteln. Von einer Geberkonferenz in Brüssel vergangene Woche kehrte Premier Schwanija mit Zusagen über eine Milliarde Dollar heim. Die USA, die Georgiens Armee trainieren, steuern zudem 500 Millionen Dollar innerhalb der nächsten drei Jahre als Entwicklungshilfe bei, der IWF gab einen ersten 144-Millionen-Dollar-Kredit.

Um den Verlockungen der Bestechung zu widerstehen, stockten die UN-Entwicklungshilfeorganisation UNDP und der US-Milliardär George Soros die Gehälter der Minister und des Präsidenten um 1200 und 1500 Dollar auf. Saakaschwili wiederum ließ die Gehälter der Polizisten – 40 Dollar – verdoppeln. Der Segen hielt offenbar nicht lange: Die höheren Gehälter wurden nur zwei Monate ausbezahlt.

Noch sei der Enthusiasmus der "Rosenrevolution" in der Bevölkerung sehr stark, meint Tea Gomelauri, die für die Bürgerrechtsgruppe "Artikel 42 der Verfassung" in Tiflis arbeitet. Sie verhilft Bürgern in Rechtsfällen gegen den Staat zu einem Berufungsverfahren – wie es die Verfassung garantiert, die Realität aber nicht. Die Büros von "Artikel 42" sind jeden Tag voll mit neuen Bittstellern. Ein Pflichtverteidiger erhält in Georgien derzeit noch einen Dollar – nicht einmal die Taxikosten zum Gericht. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2004)