Bis vor sechs Wochen war das "Gasthaus zum Niggl", direkt vor der stark frequentierten Einfahrt des Wilhelminen-Spitals, nicht unbedingt der Rede wert. Oder vielleicht schon, wer weiß, es war halt einfach so ein Gasthaus, das irgendwann in den späten 70ern oder frühen 80ern dem Zeitgeschmack angepasst wurde und in das "hin und wieder schon Patienten gekommen sind, wenn's einen Hunger gehabt haben", berichtet Ingrid "Mama" Niggl. Damals sei sie noch in der Küche gestanden, jetzt kümmert sie sich eher um die Betreuung der Gäste, und zwar mit Hingabe, "ich bin so ein Universal-Irgendwas, mich stellt man dorthin, wo gerade ein Loch ist", sagt die Frau, und man merkt ihr an, dass sie darauf aber sehr, sehr stolz ist.

Denn der Grund, warum jetzt nicht mehr sie selbst in der Küche steht, ist der, dass ihr Sohn Harald, "einer eher spontanen Eingebung folgend" ins elterliche Gasthaus zurückkam. Und der war vorher nicht nur an diversen Stätten der Wiener Szenegastronomie tätig, sondern eben auch im Wirtshaus Steirereck am Pogusch, dessen geniale Kombination aus Kitsch, Top-Qualität und regionaler Identität ja bekanntlich bei so manchen schon einen gewissen Eindruck hinterließ. Auch bei Harald Niggl, der neben aller Qualitätsphilosophie offenbar auch begriffen hat, am richtigen Ort und im richtigen Ambiente die richtigen Dinge zu kochen.

Und in Ottakring sind das eben eher die schwereren, panierteren und bodenständigeren Dinge: Das knusprige Grammeltascherl, ein Küchlein aus Erdäpfelteig mit Grammelfülle, lag auf einem Gupf wirklich gut gelungenen Speckkrautes von erfrischender Säure (€ 4,90), der gebackene Kalbskopf war einer der besten, die in dieser Stadt je zu essen waren, ganz zart und saftig und vor allem auf einem fantastischen Eierschwammerl-Tatare mit Zwiebel und saurem Gurkerl platziert (€ 5,20).

Rosa gebratene Kalbsleber mit Bries, Schnitzel, Tafelspitz und Hüferl, gedünsteter Zwiebelrostbraten bestimmen das Angebot bei den Hauptspeisen, eh klar, nur verblüfft Harald Niggl nicht nur mit hübschem und äußerst zeitgemäßem Erscheinungsbild seiner Gerichte, sie entbehren auch fast immer der melancholischen Trägheit. Das Gulasch, zum Beispiel, ist nicht anders als hervorragend, so ein Saft, so viel Paprika, so ein mürbes Fleisch - herrlich (€ 6,90)! Das Kalbsbeuscherl mit den gebratenen Serviettenknödeln war dann auch gut, aber ziemlich gebunden halt, da hat man schon elegantere gegessen (€ 7,20). Der Ochsenschlepp erhebt sich dann wieder zu kreativen Höhen, mit Erdäpfelmantel überbacken, reichlich geschmortem Wurzelwerk und schöner Sauce (€ 10,10), das geschmorte Schweinsbackerl von wunderbar saftigem Biss, mit einer Zwiebelgolatsche, die an Heftigkeit echt nichts zu wünschen übrig ließ (€ 10,90).

Was Harald Niggl aus dem Steirereck leider nicht mitnahm, ist die Liebe zum Gemüse und leider auch nicht die Liebe zum Grünen Veltliner, von dem es hier nur einen einzigen (vom Nigl) gibt, obwohl er doch so gut zu diesem Essen passt. Aber egal, Respekt für diesen jungen Mann, der da eine Wiener Küche hinlegt wie in Wien sonst nur wenige, ohne Klischees, ohne sich hinter Traditionen zu verschanzen, mit Mut und Verstand. Da gibt's echt nicht viele, die das können. (Florian Holzer, Der Standard/rondo/25/6/2004)