
Betrug die durchschnittliche Wahlbeteiligung 1997 63 Prozent, sank sie '99 auf 49,8 Prozent; und jetzt auf kritische 45,5 Prozent, in Österreich sogar auf 41,8 Prozent. Euro-Skeptiker zählen fast überall zu den Gewinnern: 16 Prozent erlangte die extremistische UKIP in England; knapp zehn Prozent die rechtsradikale FN in Frankreich. Der Raum für Populisten hat sich gefährlich erweitert. Dabei sind die anstehenden Fragen zunehmend komplex und mit Populismus nicht vereinbar: Nicht nur wird unser tägliches Leben zunehmend von der EU beeinflusst fast 70 Prozent aller nationalen und regionalen Gesetze beruhen auf EU-Recht.
Das kollektive Misstrauensvotum zeigt: Europa mag in den Köpfen angekommen sein, in den Herzen offensichtlich nicht. Der Übergang von der Wirtschafts-und Interessens- zur politischen Gemeinschaft braucht aber beides. Ohne ein Ernstnehmen und Einbeziehen der emotionalen Faktoren und Widerstände gibt es für das Projekt Europa keinen erfolgreichen Transformationsprozess:
1 Vertrauen: Die Geringschätzung des EU-Parlaments und seiner Parlamentarier beginnt nicht bei den Wählern, sondern in den Parteien. Der Wahlkampf wird für nationale Themen instrumentalisiert, paneuropäische Ziele fehlen, gemeinsame Kandidaten gibt es - mit Ausnahme der Grünen - nicht. Vertrauen braucht aber Nähe und Vertrautheit. So wundert es nicht, dass lokale Mediengrößen, von Journalisten bis Starlets aufgestellt wurden - leider oft ohne inhaltliche Kompetenz. Diese Kurzsichtigkeit werden wir büßen, denn mehr denn je brauchen wir die A-Liga in der Europapolitik, angefangen vom Kommissionspräsidenten, dem Gesicht der EU in den Medien - der leider nicht von den Bürgern gewählt wird, jedoch diese inspirieren und führen soll.
2 Transparenz: Der "Planet Brüssel" wird bewohnt von Bürokraten und Lobbyisten, die nur regulieren, blockieren und hohe Gehälter kassieren - so die Wahrnehmung. In Wirklichkeit funktioniert das EU-Parlament wie die meisten anderen Parlamente auch und hat deutlich mehr Einfluss als die nationalen - was diese allerdings nicht zugegeben. Wichtig ist daher die bessere Aufklärung über Entscheidungsprozesse und die Konzentration auf "weniger, aber bessere Gesetzesinitiativen" die deutlich machen, dass in Brüssel nicht nur Papier produziert wird.
3 Präsenz: Unser Anspruch, ein Alternativmodell zum amerikanischen zu etablieren scheinen wir weder nach innen noch nach außen vermitteln zu können:
So geben 77 Prozent der Amerikaner zu, fast nichts über die EU zu wissen, und beurteilen sie als halb so effizient in Terrorbekämpfung, Wachstum, Friedenssicherung und Umweltschutz. Skandale und Bedrohungsszenarien dominieren die EU-Berichterstattung - ohne wenige klare Schwerpunktaktivitäten, die konsistent und in einfacher Sprache kommuniziert sind, werden die EU-Errungenschaften das schwache Image nicht drehen.
Wenn aus einem elitären Europa im Elfenbeinturm eine medienkompatible Marke werden soll, muss auch die Hymne demokratisch überarbeitet werden: per contest, medial bewährt, wird ein neuer Text für die EU-Hymne gesucht - die Tage von "Elysium" und "Götterfunke" sind also gezählt. Die Europäer wollen nicht mehr oder weniger, sondern ein anderes Europa: das die Probleme löst, die ihnen am Herzen liegen. Für die EU gilt, was der Dichter Cees Nooteboom formuliert hat: "Europäer wird man nicht durch Geburt, sondern durch harte Arbeit."